Dienstag, 13. Juni 2017

Geschichte wird gemacht

Zu Beginn des Frankreich-Feldzugs 1940 war die Erinnerung an die französische Niederlage im deutsch-französischen Krieg noch keine 70 Jahre alt; die an die deutsche Niederlage im ersten Weltkrieg noch keine 25. Und die Stimmung zwischen beiden Staaten war vergiftet: durch die gemeinsame Geschichte einerseits, und durch beidseitige Propaganda andererseits.

Dass es auch anders geht, zeigen die zuletzt vergangenen 70 Jahre: trotz jahrhundertelanger Zerwürfnisse schlossen beide Nationen sogar einen Freundschaftsvertrag, der bis heute hält - nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch zwischen den Bevölkerungen.

Es geht also. Abneigung zwischen den Nationen ist nicht gottgegeben. Sie lässt sich herstellen - und besiegen. Ob man das eine oder das andere anstrebt, hängt davon ab, ob man Krieg oder Frieden will, nationalistisch oder kosmopolitisch denkt.

Und es gibt zu denken, wie man so lange die Mär vom Erbfeind aufrechterhalten konnte - solange es politisch opportun war - und sich ihrer dann so schnell entledigen konnte (als das wirtschaftlich opportun war).

Welche Geschichten werden uns eigentlich heute noch verkauft oder sind perpetuiert, obwohl sie eigentlich sinnlos sind?

Dazu ein Ausflug ins heutige Russland.

Einer der höchsten Feiertage ist der 9. Mai. Der Siegestag. Dass der Sieg am 8. Mai errungen wurde - egal.

Der Siegestag übrigens markiert das Ende des Großen Vaterländischen Krieges, der von 1941-1945 dauerte. Richtig, dass alle Welt es "Zweiter Weltkrieg" nennt, der 1939 begann und die Polen, die Franzosen und halb Europa traf - egal.

Seit 2005 pinnen und binden die Russen sich übrigens das Sankt-Georgs-Bändchen an alle möglichen und unmöglichen Stellen. Das ist ein fünfstreifiges Bändchen in schwarz-orange-schwarz-orange-schwarz, das an den Sieg über Deutschland erinnern soll. Sie bezeichnen das als "Tradition".

Mit diesem Bändchen ist es so eine Sache. Es gibt ein Sankt-Georgs-Band (kein Diminutiv!), der hielt aber einen echten militärischen Orden von vor 200 Jahren und war schwarz-gelb, nicht schwarz-orange. Egal.

Weiters wurde die Medaille „Sieg über Deutschland“ nach 1945 en masse an fast 15 Millionen sowjetische Soldaten verliehen, und die weist zwar das bewusste schwarz-orangene Band auf, hat aber nichts mit dem Georgsband zu tun. Egal.

Geschichte wird gemacht. Wer das Datum des Kriegsendes, des Kriegsbeginns, seine Bezeichnung und seine Erkennungsmerkmale einfach so setzen kann - wider die Realität - der macht seine Geschichte. Und verfolgt damit ein Ziel.

Und wieder frage ich mich, welche Geschichten man uns in Deutschland als Geschichte verkauft.

Wird eigentlich ausreichend gewürdigt, dass die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs von Vertretern einer Diktatur (Stalin), einer Kolonialmacht (Churchill) und des ungezügelten Kapitalismus (Roosevelt/Truman) repräsentiert wurden?

Was sagt es über den Willen aus, einen Weltkrieg zu beenden, wenn der am D-Day immerhin schon knapp 5 Jahre lang gedauert hatte?

Unter Beschuss welcher Armeen hat Hitler eigentlich aufgegeben? Der Alliierten oder der Sowjets?

Kann man die Siegermächte wirklich als solche bezeichnen, wenn sie weder in der Lage noch interessiert daran waren, den Übergang vom Zweiten Weltkrieg in einen über vierzigjährigen Kalten Krieg zu verhindern?

Und hat dann Deutschland nicht eigentlich jenen Kalten Krieg gewonnen?

Wer macht, dass wir darüber nicht öffentlich nachdenken, und warum?

Schlagwort: Fadenschein

Mir etwas anheimstellen

 
Hm. In Kriegen siegen selten besonders friedlich agierende Staaten. Dennoch kann es keinen Zweifel daran geben, dass die Siegermächte gesiegt haben, oder? Und daran, dass das für Deutschland, d.h. die Mehrheit der Deutschen, ein Glück war, kann es auch keinen Zweifel geben. So what?

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Von Glück ist leicht reden,

wenn man den Blockkonflikt ausblendet.

Vor 70 Jahren war es den Deutschen nach Weimar zum zweiten Mal verwehrt, sich eine eigene Staatsform zu erstreiten. Glück?

Stattdessen hatten 12 Mio Vertriebene eindeutig kein Glück (welches die Nichtvertriebenen mit dem Lastenausgleich teilen durften, weshalb sie die Ostgebiete noch Jahrzehnte lang nicht aufgegeben wissen wollten).

Und das Glück der 16 Mio Ostdeutschen ist noch keine 30 Jahre her; oder denken Sie auch an Ungarn, Rumänien, Slowakei, Bulgarien, die sich mit Deutschland arrangiert hatten und ungefragt in den Ostblock und damit in den Kalten Krieg gezogen wurden.

Und dann bleiben noch Vietnam, Afghanistan, Chile usw.

Worauf ich aber hinaus wollte: Der herausgezögerte Kampf der Westmächte gegen Deutschland hatte garantiert nicht das Glück der Deutschen zum Ziel, sondern eine Schwächung des Nationalsozialismus wie des Kommunismus - durchaus auch im Interesse der USA (später bestätigt durch die Truman-Doktrin).

Stalin dagegen verfolgte zunächst die "Sozialismus in einem Land"-Politik und ging angesichts des erstarkenden Nationalsozialismus sogar Bündnisse mit Westmächten ein, siehe Frankreich. Zum Ostblock kam es erst, als Osteuropa mit hohem Blutzoll unter die Kontrolle der Sowjetunion kam (Breschnew-Doktrin gar erst 1968).

Sprich: 1945 war der Krieg nicht vorbei, sonden wurde von den Westmächten (denen er schon vorher gegen die UdSSR gedient hatte) und dem neuen Ostblock (ebenfalls aus Ideologie) weitergeführt. Sieg sieht anders aus.

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Geopolitisch betrachtet mögen Sie Recht haben. Ich hatte aber bewusst von "Glück", also von etwas Privatem gesprochen. Und für das Glück der Einzelnen sind irgendwelche machtpolitischen Ziele irgendwelcher Großmächte ziemlich unerheblich. so wie es unerheblich ist, warum die Alliierten die Deutschen von der Hitler-Katastrophe befreit haben.
Die Vertriebenen sind die großen Verlierer unter den Deutschen damals, das ist richtig. Für die meisten anderen Deutschen war 1945 eine schlimme Zeit endlich vorbei. Meine Großeltern lebten in dieser Zeit, die einen waren eher rechts, die anderen eher links, und beide waren sie 1945 erleichtert, dass der Scheiß vorbei war.
Der Krieg war 1945 vorbei!! Es fielen keine Bomben mehr, ein paar Jahre später gabs auch wieder genug zu essen, und es waren wieder sinnvolle Lebensperspektiven möglich.
Glück heißt nicht Gerechtigkeit. Glück ist, wenn die Leute endlich mal in Frieden leben können.
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(P.S. Das mit "Staatsform verwehrt" versteh ich leider gar nicht: Inwiefern sollte den Deutschen 1918 von irgendjemandem verwehrt worden sein, sich eine eigene Staatsform zu erstreiten? Oder meinen Sie gar nicht 1918, sondern 1933?)

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