Ich mach' Sie reich!
makarios, 15:03h
Stellen Sie sich vor, Sie seien ein narzisstischer Egoist und möchten reich werden. Hier steht, wie das geht.
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Finden Sie eine Million Leute, die Ihnen ein paar Euro geben. Schon sind Sie Millionär.
Das geht nicht? Und ob das geht. Hier sind zwei aktuelle Fallbeispiele.
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Sammeln Sie die Urängste der Bevölkerungsschichten, deren Gemüter am leichtesten erregt werden. Ob die Ängste irrational sind, ist nicht entscheidend. Jetzt formulieren Sie diese Ängste um, untermauern sie mit Halbwahrheiten, beweisen sie mit Schweinwissenschaften, und verkaufen Sie dem Volk seine eigene Gefühlswelt (durch Ihren Fleischwolf gedreht) als Buch. Fertig. Umsatz des aktuellen Beispiels (bis dato): ca. 15 Millionen Euro [1]. Dazu die Einnahmen aus Lesungen. Keine Sorge, auch Leute, die nicht müssen, werden sich das Buch kaufen und Ihnen ihr Geld nachwerfen für Thesen, hinter denen Sie nicht mal wirklich stehen müssen.
Und die depperten Konsumenten geben Ihnen Geld für etwas, was sie eh schon denken.
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Steigen Sie (wie z.B. Bertelsmann, Burda oder Disney) bei RTL2 ein oder werden Sie ihr Berater und installieren Sie eine Sendung, die mit "Tatort" anfängt. Inhalt: künstlich echauffierte Identitätsfälscher verleiten kranke Leute zu scheinbaren, zu vermeintlichen Straftaten, die das Volksgefühl empören, aber eben keine Straftaten sind. Fertig. Einschaltquote des aktuellen Beispiels: ca. 1,1 Millionnen Zuschaner, fast alle in der „werberelevanten Zielgruppe“ [2]. Keine Sorge also, die Werbeslots werden Sie los wie warme Semmeln.
Und die depperten Konsumenten bezahlen Sie über die Werbung und die Produktpreise und verlieren auch noch ihre Zeit dabei.
Sie sehen, mein einer und einziger Rat, wie Sie reich werden können, funktioniert. Das einzige, was Sie gegebenenfalls abschaffen müssen, ist Ihr Gewissen. Schamlos müssen Sie lügen können, Ihnen ginge es darum, eine Diskussion anzustoßen, ein Tabu anzusprechen, Kinder zu schützen, die widerlichen Andersdenkenden unschädlich zu machen. Sie müssen so tun, als ob Sie sich selbstlos um die Lösung eines gigantischen gesellschaftlichen Problems bemühen, jeden Angriff auf Ihre Taktik als Ignoranz des Problems oder besser gleich als unmoralischen Akt darstellen, und dabei intensiv an einer Verhinderung der Lösung arbeiten. Denn nur die ausbleibende Lösung verschafft Ihnen Aufmerksamkeit, Quoten, Tantiemen, also: Geld.
Das sei ein Widerspruch: Ein Problem ansprechen und seine Lösung vereiteln? Ganz und gar nicht. Hier die mit heißer Nadel gestrickten Rezepte:
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Teile und herrsche! Spalten Sie die Menschen in zwei unversöhnliche Gruppen und tun Sie so, als gäbe es nichts dazwischen. Pro-Guttenberg oder pädophil. Pro-Stuttgart21 oder ewiggestrig. Deutsch oder muslimisch. Nichts dazwischen.
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Geben Sie ausgleichenden und differenzierenden Argumenten keinen Raum und stellen Sie immer nur eine Seite dar, und zwar die negative. Türken beziehen Sozialhilfe (und die türkischen Gemüsehändler zahlen Steuern), Ausländer schlagen ihre Frauen (genau wie Deutsche), Kinder werden durchs Internet vergewaltigt (wenn sie in die entsprechenden Chats gehen, dort über sexuelle Phantasien reden und Wildfremden ihre Adresse mitteilen).
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Nutzen Sie die Gefühle und Schlussfolgerungen der Konsumenten, ohne sie direkt anzusprechen. Sagen Sie „kleines Mädchen“: jeder hat den süßen blonden Fratz mit Zöpfchen vor Augen und nicht die geschminkte Partygöre mit Brüsten, Periode und Kondom in der Geldbörse. Sagen Sie „christlich-jüdisch-abendländische Werte“: jeder denkt an Jesus und Barbarossa, an Milde, Ehre und Heldentum und nicht an Ausländerhass, Politikverdrossenheit, Altersheime, Steuerhinterziehung, Kindermangel, Bestechung, Einelternfamilien, Pharmalobby, Diktatoren und zwei Weltkriege. Die Schlussfolgerungen ziehen die Konsumenten selbst. Das arme kleine Mädchen muss man vor dem Wolf schützen und die christlich-jüdisch-abendländischen Werte vor den Sarazenen, das ist doch klar. Ein Wüstling, wer das bestreitet...
Wenn es bei Ihnen geklappt hat, schreiben Sie mir doch mal. Ich erweitere die Liste gerne um Ihren Ansatz.
Jetzt muss ich aber gehen, ein bisschen Geld verdienen... ehrlich. Reich werde ich dabei nicht.
[1] Eigene Berechnung, Quelle: Spiegel Online.
[2] Quelle: Quotenmeter GmbH .
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Donaueschingen, oder: Wider die neue Musik
makarios, 18:21h
Die Donaueschinger Musiktage sind vorbei. Zeit, mal etwas über moderne Musik und Kunst im Allgemeinen zu sagen.
a
Zunächst muss ich mich offenbaren. Ich liebe klassische Musik, besonders aus der romantischen Klassik. Das heißt, mit Chopin und Schubert, mit Beethoven und Rachmaninoff, mit Verdi und Donizetti, Rossini und Bellini können Sie mich ziemlich schnell hinter dem Ofen vorholen. Bruckners siebte Symphonie. Tschaikovskys Sechste. Beethovens Dritte. Schumanns Klavierkonzert, oder Chopins Erstes, oder Brahms' Zweites. Bruchs erstes Violinkonzert. Das Finale von Bellinis „Norma“. Der dritte Akt von Cherubinis „Medea“ (oder Verdis „Traviata“ oder Bellinis „Sonnambula“)...
c
Entschuldigen Sie, ich bin gerade ins Schwärmen gekommen. Aber im Ernst, manchmal bilde ich mir ein, mit dieser Musik (Konserve hin oder her) mein seelisches Gleichgewicht ein bisschen wiederherstellen zu können. Deswegen gebe ich auch Geld aus dafür.
D
Dass ich mit diesem Geschmack recht allein auf weiter Flur stehe, wundert mich nicht und ärgert mich auch nicht. Musik ist eben Geschmackssache.
e
Und wenn Sie andere Musik brauchen, um sich auf- oder abzuregen, die Langeweile zu verjagen, Ihrer Umwelt ein „lass mich in Ruhe“ zu signalisieren, oder um kreativ zu werden ... warum nicht?!
e
Bemerkenswert ist nur eins: Sie hören Ihre Musik immer freiwillig. Freiwillig und gern. Denn sie erfüllt für Sie einen Zweck und hat für Sie einen unmittelbaren Wert.
e
Jahrtausende war es nicht anders. Die Schamanentänze (wenn es die denn je gab), die Dorfmusik des Mittelalters, die Tänze des Barock, die Unterhaltungsmusik der neueren Zeit sind immer komponiert und aufgeführt worden, weil es eine unmittelbare Nachfrage danach gab.
g
Aber - kein Ding, das sich nicht missbrauchen ließe.
g
Ich habe den begründeten Verdacht, dass die Auftraggeber Telemanns, Haydns oder Bachs die Musik aus Gründen förderten, die mit dem Gefallen an Musik nicht mehr viel zu tun hatten. Tafelmusik? Da, ich kann ein Orchester beim Essen dudeln lassen. 104 Symphonien? Seht her, ich kann einen ungeheuren Musikauswurf finanzieren. 300 Kantaten? Schaut, wie ernst wir es mit dem Gotteslob halten.
h
Ich würde das „Ersatzgründe“ für Musik nennen.
i
Dementsprechend ist auch die Musik nicht unbedingt das, wofür ich ein paar Stunden vor der Stereoanlage meditieren würde.
i
Aus demselben Grund finde ich auch die sogenannte „neue Musik“ so völlig überflüssig.
k
Nicht, dass sie keine Ziele erfüllen würde.
M
Die Generalmusikdirektoren können damit ihre Progressivität unterstreichen, Opernhäuser ihre Weltoffenheit, Konzertgeher ihre Connaissance, Orchester ihre Unvoreingenommenheit ... und nicht zuletzt verdienen ein paar spinnerte Komponisten ihre Brötchen damit. Ist ja auch nichts Neues.
n
Nur
eines tut niemand mit der Musik: niemand würde sie sich freiwillig am Samstag nachmittag in die Stereoanlage legen und sich ein paar Stunden davon berieseln lassen.
n
Warum?
o
Weil die neue Musik nicht mehr ihren primären Zweck erfüllt - die innere Saite des Menschen anzuschlagen - sondern
nur noch Ersatzziele verfolgt.
r
Nur als Beispiel: Jahrhunderte hat man Klaviere und Violinen weiterentwickelt, damit sie beim Anschlag mit dem Hämmerchen bzw. dem Strich über die Saiten den angenehmst-möglichen Klang erzeugen. Parallel dazu hat die Harmonielehre die angenehmsten Kombinationen und Entwicklungen von Klängen herauszufinden gesucht. (Und der gute alte Pythagoras hat die mathematische Grundlage dafür gelegt).
s
Und daher, liebe Protagonisten der neuen Musik, ist es auch so affig, einen Pfeil aufs Cello zu schießen, Kronkorken zwischen die Flügelsaiten zu stecken, auf den Resonanzkörper der Violine zu trommeln, eine Säge als Instrument zu bezeichnen oder unbedingt alle 12 Töne der Tonleiter zusammenkomponieren zu wollen. Das mag anstrengend sein, aber es ist nicht schön und ignoriert, ja verhöhnt alle bisherigen Anstrengungen, Musik schön zu machen.
s
Habt ihr so wenig neue Ideen, um Instrumente zu erfinden, mit denen ein Künstler Geröusche entwickeln kann, die man gerne hört? Warum kann ich bei jedem Stück neuer Musik vorhersagen, dass es sich um eine chaotische Ansammlung von Extremen handeln wird? Dissonante Tonsprünge, lang anhaltende dünne Töne zwischen verrückter Schrammelei, und die unzusammenhängenden Aufschreie der Vokalisten: wozu?
t
Wenn jemand dieser ganzen Windbeutel eine neue mathematische Grundlage, Harmonielehre, neue Instrumente und dafür vervollkommnete Spielweisen erfinden würde, für die ich freiwillig am Samstag Nachmittag ein paar Stunden vor der Stereoanlage sitzen möchte ... ja, dann seid ihr Künstler.
u
Aber so seid ihr nur lächerliche Schaumschläger. Worüber auch eure wichtigen Mienen nicht hinwegtäuschen können.
u
Und dasselbe gilt für all die anderen modernen Künstler.
[1] In den Textrahmen stehen die Buchstaben des Wortes „Donaueschinger Musiktage“ in alphabetischer Reihenfolge. Genauso ist neue Musik: anstrengend für Schaffer und Rezipient, und dabei völlig sinnlos. Außer für den Schaffer, der noch eine kluge Fußnote daraus machen konnte.
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Der 2000jährige Stillstand
makarios, 12:58h
Über das Internet, 2010
"Ich [kann] mich nicht damit abfinden, dass es ein technisches Medium geben soll, wo das angeblich alles nicht mehr gilt, was seit 2000 Jahren gegolten hat."
[1]
Der Bundesinnenminister bezog sich in diesem Zitat auf das Internet. Der Kontext: das von ihm angestrebte Verfallsdatum für Informationen im Internet. Der Minister meinte, wenn unsere Rechtsordnung Verjährungsfristen im Gesetz und das Aufzeichnungsverbot des gesprochenen Wortes kenne, dann sollten auch Daten im Internet irgendwann automatisch verschwinden.
Wie meinen?
Nun ist nicht alles, was hinkt, auch ein Vergleich. Der Hinweis auf die gesprochene Sprache zum Beispiel: Das Internet ist wohl alles andere als gesprochene Sprache. Oder der Hinweis auf die Rechtsordnung: Die 10jährige Verjährigunsfrist von Vergewaltigungen bedeutet doch auch nicht, dass die Tat danach nicht mehr existiert (Verjährung ist nur ein
Verfolgungshindernis).
Und wer hat da "angeblich" gesagt, alles solle nicht mehr gelten? Niemand. Aber der Durchschnittsmensch hat Angst vor radikalen Veränderungen, und solche Andeutungen generieren eine Ablehung des Mediums an sich. Vor dem Hörer baut sich das Bild vom nerdigen Netzfetischisten, dem russischen Hacker oder der nigerianischen Diplomatenwitwe auf, denen ein völlig "rechtsfreies" Internet natürlich sehr recht wäre. Böse, böse, böse. Der Minister, der das Gegenteil will, muss also gut sein und recht haben.
Wenn das so gemeint war: Fein gemacht, wirklich.
Ist das so?
Machen Sie doch mal den Realitätstest. Möchten
Sie gegen Verleumdung im Internet vorgehen können? Möchten Sie, dass Verbrechen aufgeklärt werden, für die das Internet benutzt wurde? Natürlich! Das alles ist Teil unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung, die Sie unterstützen. Den an die Wand gemalten kollektiven Teufel, der das alles im Internet abschaffen möchte, gibt es nicht.
Der Minister hat vielleicht etwas anderes gemeint, als er gesagt hat. Zwischen den Zeilen steht: Das Internet muss unsere Gesellschaft so unverändert lassen, wie sie seit 2000 Jahren besteht.
Nichts ist so beständig, wie die Veränderung
Das ist natürlich eine Absurdität in sich. Wenn ich vieles andere bedenke, was bis in die Neuzeit gedauert hat ... Leibeigenschaft, Todesstrafe ... dann bin ich doch
sehr froh darüber, dass vieles nicht mehr gilt, was seit 2000 Jahren gegolten hat. Denken Sie auch daran: Im ersten Jahrhundert wurden die umständlichen Schriftrollen durch den Kodex (die Buchform) ersetzt, die schriftliche
lingua franca ist von griechisch auf lateinisch und englisch gewechselt, der Landfriede hat die Blutfehden beendet, der Buchdruck die Schriftmalerei... Das alles hat tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft nach sich gezogen und mit langen Traditionen gebrochen. Nicht mit allen, aber jeweils mit einigen, und heute würden wir das "Fortschritt" nennen.
Kleiner Scherz am Rande:
In die Geschichte eingegangen sind die, welche den Veränderungen den Weg bereitet haben - nicht deren Verweigerer. Das ist mit dem Internet nicht anders. Wer kann im Ernst glauben, dass das reale Leben nachgeben und sich völlig einer virtuellen Gesellschaftsordnung beugen wird, und sei sie auch 2000 Jahre alt? Nein, das Internet wird weiterbestehen oder bald von etwas noch Leistungsfähigerem ersetzt werden (mein Tipp: "a dynamic cloud of mobile clouds" - sorry, Geeksprache), aber es wird nie wieder so sein wie vor 2000, 100, 50 oder 10 Jahren. Nie!
Ich glaube, das Unwohlsein des Ministers rührt von einer anderen Quelle: unsere Gesellschaft ist unvorbereitet auf die Veränderungen, die das Internet mit sich bringt.
Recht:
Da ist zum Beispiel das Recht: Das Copyright stammt aus einer Zeit, in der Kopien wirklich Vervielfältigungen waren, während heute die elektronische Kopie Grundvoraussetzung für jedwede Nutzung elektronischer Information ist. Und das Rechtssystem ist viel zu schwerfällig, um Urheberrechts- oder anderen Rechtsverletzungen fix bestrafen zu können, was zum leidigen Abmahnverhalten geführt hat.
Technologie:
Auch die Internetindustrie ist nicht unschuldig. Ein mindestens ebenso großes Problem wie die ewige Verfügbarkeit einmal eingestellter Daten ist das Gegenteil: ihre Flüchtigkeit. Bis heute gibt es keinen allgemeinen "Freeze-Button" oder Einfrierungsknopf, der eine rechtswidrige Transaktion im Internet gerichtssicher dokumentieren könnte, damit eine Strafverfolgung möglich ist. Die Folge ist die noch viel leidigere Debatte um die Vorratsdatenhaltung - das anlasslose Aufzeichnen jeglicher Transaktion, die mehr Begehrlichkeiten weckt und mehr Missbrauchspotential birgt als alle gesammelte Information im Internet zusammen.
(Kleine Anmerkung: Auch die vorauseilende und umfassende Aufzeichnung jeglicher Tätigkeiten, nur um im Nachhinein eventuell eine Straftat feststellen zu können, dürfte im Widerspruch zu allem stehen, was in den letzten 2000 Jahren gegolten hat.)
Bildung:
Nicht zuletzt ist auch unser Bildungssystem nicht vorbereitet. Wo werden Kindern oder Erwachsenen "neue" Sozialkompetenzen oder Datenmanagement beigebracht? Lernt irgendjemand, dass man keine privaten Daten ins Netz stellen soll? Nicht mit jedem über alles chattet? Sich der Verknüpfbarkeit und Verkäuflichkeit von Daten im Netz bewusst zu sein? Gibt es Internetkompetenz als Lehrfach? Oder vielleicht noch besser "Kompetenzkompetenz": die Anleitung, in unserer schnellebigen Gesellschaft die nötigen Kompetenzen selbst zu erkennen und sich anzueignen? Ich wüsste nicht.
Und hier die Gretchenfrage:
Sollen wir wirklich den Fortschritt verhindern, nur weil unsere rechtlichen, schulischen und technischen Rahmenbedingungen überkommen und wir zu träge sind, sie an die Entwicklungen der Gesellschaft anzupassen?
Ich hoffe wirklich nicht, dass die Allgemeinheit so denkt.
[1] SWR2, 3.7.2010: Interview der Woche: Thomas de Maizière, Bundesinnenminister (Transkript)
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