Mittwoch, 14. September 2011

Die dritte Lösung für Griechenland

Ich bin ja nur Informatiker und kein Volkswirt. Vielleicht kann mich ein Volkswirt ja korrigieren. Hier ist die Theorie.

Wie jedes wirtschaftlich handelnde Subjekt benötigen Staaten Geld. Sie bekommen es aber zu verschiedenen Konditionen. Während Deutschland sein Geld für um die 3% Zinsen borgen kann, müsste Griechenland derzeit ein Vielfaches (zwischen 10 und 25%) davon auf den Tisch legen.

Dieser Unterschied heißt Risikoaufschlag. Der Gruppe von Schuldnern, die eine größeres Risiko hat, den Kredit nicht zurückzahlen zu können, nimmt man prophylaktisch mehr Zinsen ab und bezahlt damit den Verlust, den man durch tatsächliche Ausfälle hat.

Allerdings setzt das voraus, dass ein Ausfall wirklich eintreten kann, oder - wie derzeit - eine Insolvenz von Griechenland eine echte Option ist. Da dies von allen Seiten verneint wird, stellt sich die Frage: wofür dann der Risikoaufschlag? Denn wenn ein Euroland niemals pleitegehen gelassen wird, dann dürften die Kreditzinsen für sie alle nur sehr niedrig liegen.

Ich glaube, der Risikoaufschlag bei Staatsanleihen ist kein Risikoaufschlag, sondern die Ausnutzung einer Notlage. Deutschland beispielsweise hat eine funktionierende Wirtschaft, und mit ein bisschen Steuererhöhrung, Subventionsabbau und so weiter könnte Deutschland das Defizit in seinem jährlichen Haushalt realistisch ausgleichen (dass wir überhaupt ein Defizit haben, ist eine politische Entscheidung). Deutschland bräuchte also eigentlich kein fremdes Geld. Das ist ein Problem für die Kreditinstitute, denn sie verdienen an den Zinsen. Ein Deutschland, dass sich gar nichts borgt, ist für sie also viel schlechter als ein Deutschland, dass sich zu 3% Kreditzins borgt. Das sind absolut 3 Prozentpunkte, und das lohnt sich schon für die Kreditgeber.

Griechenland dagegen braucht das Geld dringend - ohne fremdes Geld kann es nicht weiterwirtschaften. Natürlich könnten die Kreditinstitute auch für Griechenland nur 3% Zinsen borgen - aber warum, wenn man auch 10% oder 20% verlangen kann? Na also. Griechenlands wirkliches Problem ist seine Erpressbarkeit.

Was kann Griechenland nun gegen die Erpressung tun? Es gibt eine Menge Möglichkeiten.

Erstens: Griechenland kann in Insolvenz gehen. Das Tafelsilber wird verkauft und an die Gläubiger verteilt, die den Verlust des Rests ihrer Einlagen durch den "Risikoaufschlag" ja schon verhergesehen und ausgeglichen haben. Griechenland fängt bei Null an, muss zwar kleine Brötchen backen, ist aber damit besser dran als jetzt gerade mit 273 000 000 000 € Minus. Die eine oder andere Bank geht dadurch Pleite, aber was Griechenland darf, darf auch eine Bank. Wer sich beim Risiko verkalkuliert, fliegt eben raus.

Von den Unkenrufen einer Instabilität aufgrund einer Insolvenz halte ich nichts. Warum sollten die Kreditgeber von etwas überrascht sein, was sie (mittels Risikoaufschlag) schon eingeplant haben? Trotzdem haben wir uns diesen Weg schon verbaut. Banken und Versicherungen, die in Griechenland investiert sind, haben nur sehr wenig eigenes Geld - das meiste echt existierende Geld stammt von Anlegern, von denen viele wiederum normale Bürger wie Sie sind. Dieser Bürger hat aber nicht die Freiheit der Banken, Risikoaufschläge gegen Risiken abzuwägen. Private Altersvorsorge (und bald private Pflegevorsorge) zwingen ihn, sein Geld bei Kreditinstituten anzulegen, die dann damit ins Casino gehen. Will eine Regierung also nicht zugeben, dass die beinahe verpflichtende private Altersvorsorge phänomenaler Unsinn ist, die nur der Banken- und Versicherungslobby nutzt, muss sie diese Institute vor der Pleite bewahren: indem sie entweder Griechenland vor der Pleite bewahrt oder die Institue selbst stützt. Das wissen die natürlich und spielen noch ungehemmter Casino.

Griechenlands zweite Möglichkeit wäre, den Banken den Stinkefinger zu zeigen und sich das Geld bei einem Wohltäter zu borgen, der Griechenlands Notlage nicht ausnutzt. Das passiert gerade durch den Rettungsschirm. Leider hat das einen Haken für den Wohltäter. Wenn Griechenland trotzdem in Insolvenz geht, verliert der Wohltäter prozentual genausoviel Geld wie die Banken (wobei ich wetten würde, dass die Lobby die Banken schadlos halten wird), aber da er den Verlust nicht durch den Risikoaufschlag abgefedert hat und auch normalerweise nicht im Kreditgeschäft tätig ist, ist der Ausfall nicht gegenfinanziert. Dadurch kommt der Wohltäter, der das Geld gar nicht hatte, sondern sich selbst bei den Banken borgen musste, selbst in eine Notlage. Und was die Banken dann tun, haben wir gerade herausbekommen.

Allerdings könnte das eine Milchmädchenrechnung der Banken sein. Denn wenn weder Griechenland noch der Wohltäter mehr zahlen können, dann haben die Banken niemand mehr, mit dem sie Geschäfte machen, und auch niemanden, der sie stützt. Der Pleite des Wohltäters folgt unweigerlich die Pleite der Banken und damit die Armut der Bürger, die dort ihre Einlagen halten. Ein übles Szenario, das man durch ein Verbot, Notlagen von Staaten auszunutzen, leicht verhindern könnte. Das sollte den Banken eigentlich auch beizubringen sein, denn sie agieren mit Geld und in einem rechtlichen Umfeld, das ihnen von ebenjenen Staaten freundlicherweise und billig zur Verfügung gestellt wird. Wes Brot sie essen, des Lied könnten sie eigentlich auch singen, oder?

Bleibt noch drittens: Griechenland könnte so wirtschaften, dass es kein Geld braucht und nicht erpressbar ist. Der Borgende ist ein Knecht des Leihenden.

Na gut, drittens war Utopie. Warum sollte man von einem Staat etwas verlangen, wozu schon seine Bürger nicht in der Lage sind?

Schlagwort: Geschichten aus der heilen Welt

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Dienstag, 6. September 2011

Scheinlob der Zuverlässigkeit

Ist Ihnen mal aufgefallen, dass eine Menge von Adverben eine positive Konnotation haben, nur, weil ihnen die Masse der Normalos einen falschen Sinn unterschiebt?

Hier ein Beispiel: Zuverlässig. Von den Normalos wird dieses Wort positiv belegt - sie schreiben es alle in ihre Bewerbungen. Auch jeder Aspie würde dieses Wort voller Überzeugung in seine Bewerbung schreiben, nur wäre man von ihm im Nachhinein wohl schwer enttäuscht. Warum?

Weil ein Aspie auf einer anderen Ebene zuverlässig ist als ein Normalo. Für Normalos bedeutet Zuverlässigkeit die Kontinuität des Handelns. Ein Motor ist zuverlässig, wenn er immer läuft. Ein Arbeiter ist zuverlässig, wenn er seine Aufgaben immer erfüllt. Ein Land ist zuverlässig, wenn es immer in denselben Krieg zieht wie die USA.

Als Aspie mag ich in diesem Sinn zuverlässige Dinge sehr. An Menschen und menschliche Institutionen stelle ich jedoch andere Ansprüche. Statt der Kontinuität des Handelns sollte den Menschen eine Konsistenz der Werte und Entscheidungen als zuverlässig beschreiben.

Denn es nützt nichts, wenn der Mensch nur immer dasselbe tut. Wenn Sie jemandem Ihr ganzes Erspartes anvertrauen müssten, und sie haben zwei Menschen zur Auswahl: einen, der immer dasselbe macht, und einem, der stets denselben moralischen Prinzipien folgt. Wenn nichts passiert, bekommen Sie ihr Geld von dem einem genauso wieder wie von dem anderen.

Lassen Sie nun eine unvorhergesehene Situation eintreten, die das Handlungskontinuum zerstört. Sagen wir, Ihr Treuhänder wird überfallen und ausgeraubt. Dann sagt der Erste: "Das war eine noch nie dagewesene Situation und nicht meine Schuld", hat damit recht, uns Sie sind Ihr Geld los. Wird der zweite um Ihr Geld beraubt, wird so lange arbeiten, bis er Ihnen das Anvertraute zurückzahlen kann, obwohl er das weder vorhergesehen noch geplant hat.

Wenn Sie mit der Reaktion des Zweiten nicht gerechnet haben, dann nur, weil Sie die Werte Ihres Kumpels nicht kannten. Aber machen solche Werte nicht unsere Überlegenheit über so etwas Unbelebtes wie einen Motor aus? Schon, aber dafür interessieren sich Normalos leider nicht. Hier ist mein Artikel über das Handgeben. Der Normalo ist glücklich, wenn es immer funktioniert (zuverlässig auf der Handlungsebene), der Aspie ist glücklich, wenn er die richtige Entscheidung trifft (zuverlässig auf der Werteebene).

Kennen Sie noch mehr Worte, bei denen sich Aspies und Normalos wohl nie verstehen werden?

Schlagwort: Verrückte Normalo-Welt

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Mittwoch, 24. August 2011

Der Bauer und die Finanzkrise

Einem jungen Mädchen konnte ich einmal den Sinn der ganzen Zins- und Kreditbeispiele bei der Prozentrechnung in der Nachhilfe wie folgt erklären: Ein Bauer will Kartoffeln pflanzen, hat aber kein Geld dafür. Die Bank leiht ihm 1000€ zu 20% Kreditzins. Der Bauer kauft davon im Frühjahr Kartoffeln, bekommt im Herbst dreimal soviel Ernte, verkauft sie für 3000€ und zahlt der Bank 1200€ zurück. Nun hat die Bank ja auch kein Geld. Also zahlt sie dem Mädchen 2% Zinsen, damit sie ihre 1000€ Erspartes hinbringt. Schließlich hat der Bauer 1800€ fürs harte Arbeiten, die Bank 180€ fürs Investieren und das Mädchen 20€ fürs Nichtstun verdient. Alle sind zufrieden. Mutter Erde zahlt die Zeche.

Leider dauert das Geldverdienen auf diese Art viel zu lange und ist zu mühsam. Etwas zu produzieren kostet eben Zeit und Mühe. Die ungeduldigeren und gierigeren Zeitgenossen ersannen daher einen zweiten Markt, auf dem nicht echte Produkte, sondern Vertrauen, Hoffnung, Wetten und große Intransparenz den schnellen Gewinn versprechen: den Finanzmarkt. So kann der Bauer z.B. seinen Hof in eine Aktiengesellschaft überführen, d.h. er verkauft Anteile an seinem Unternehmen, was ihm das Geld derer in die Kassen spült, die hoffen, dass das Unternehmen langfristig Gewinn macht, also Dividenden abwirft.

Nun werden die Anteile zum Spekulationsobjekt auf dem Finanzmarkt: Anleger kaufen und verkaufen die Anteile unter sich, aber nicht, um in den Genuss der Dividende zu kommen (darauf muss man viel zu lange warten). Vielmehr erhöht ein steigendes Vertrauen in den Bauern die Nachfrage und daher den Preis seiner Unternehmensanteile auf dem Finanzmarkt. Geld verdienen kann man nun quasi über Nacht, indem man Anteile kauft und sie nach einer Preissteigerung wieder verkauft. Wer also korrekt auf die Vertrauensänderung anderer Anleger in den Bauern wettet, kann viel schneller Geld verdienen. Der Bauer merkt davon nichts und hat auch nichts davon; das verdiente Geld wurde nicht durch Leistung der Mutter Erde abgerungen, sondern den Anlegern mit dem höheren Vertrauen und schlechteren Wetten abgenommen.

Es geht aber noch viel mehr. Anteile kann man "leerverkaufen", d.h. zum aktuellen Preis verkaufen, ohne sie zu besitzen - mit der Verpflichtung, sie später zum dann geltenden Preis wieder zu "kaufen". Ist der niedriger, streicht man die Differenz als Gewinn ein. Wenn man genügend Geld hat, sind Leerverkäufe eine Gelddruckmaschine. Leerverkäufe spekulieren nämlich auf fallende Anteilspreise, also sinkendes Vertrauen, und wenn die anderen Anteilseigner eine solche Spekulation beobachten, fürchten sie um den Wert ihrer Anteile, werfen sie auf den Markt und setzen damit die selbsterfüllende Prophezeiung in Gang, weil das Überangebot den Preis tatsächlich sinken lässt. Das hier verdiente Geld stammt von Anlegern mit dem höheren Vertrauen in das vorgespielt sinkende Vertrauen geschickt agierender Finanzmarktbeeinflusser.

Das ist alles schon sehr abstrakt, aber es lässt sich immer noch mehr Geld verdienen. Zum Beispiel könnte eine Bank eine Wette darauf annehmen, wie erfolgreich ein Leerverkauf sein wird, und wer (gegen die Prognosen) die Wette gewinnt, der streicht Geld ein, das von den anderen Anlegern mit schlechteren Wetten auf das erwartete hohe Vertrauen wieder anderer Anleger in das scheinbar ausschlaggebende sinkende Vertrauen noch anderer Anleger stammt ( uff ... von dem Bauern haben wir schon lange nichts mehr gehört).

Wenn Sie bis hierher gelesen haben, dann sind Ihnen gewiss schon ein paar Dinge aufgefallen. Erstens: für Sie als kleiner Anleger sind Finanzmärkte eine riesige Kapitalvernichtungsmaschine. Ihr Wissen und Ihre Möglichkeiten sind zu beschränkt im Vergleich zu den wenigen Spezialisten am Finanzmarkt, die mit riesigen Geldmengen den Markt in ihrem Sinne beeinflussen, so dass Sie fast sicher zu den vielen Wettverlierern in dem Spiel gehören. Selbst der Wert gekaufter Anteile hängt nicht von Ihnen ab, sondern vom Vertrauen anderer, und wenn da mal kein Vertrauen mehr ist, haben Sie einen Totalverlust.

Nun gut, können Sie sagen, ich muss an dem Spiel ja nicht teilnehmen. Irrtum! Sie müssen es längst!

Nun kommt nämliche die zweite, viel schlimmere Erkenntnis: Natürlich braucht man Kapital als Wetteinsatz, und die großen Mitspieler brauchen viiieeel Kapital - das sie nicht haben. Also holen sie es sich. Von Ihnen. Die Banken locken Sie mit Tagesgeldzinsen, damit Sie ihnen Ihr Kapital zum Spielen zur Verfügung stellen. Wenn die Bank verliert, dann gibt es zwar einen Einlagensicherungsfonds, aber den haben Sie vorher auch schon mitfinanziert. Wenn die Bank noch mehr verliert, als sie besitzt, dann bezahlt neuerdings der Staat die Wettschulden, und der Staat, das sind, nun ja, Sie als Steuerzahler.

Und haben Sie sich mal gefragt, warum die Rentenversicherung Ihnen empfiehlt, einen Teil Ihres Einkommens den Versicherungen, Banken und Fondsmanagern anzuvertrauen? Sie nennen das private Altersvorsorge, aber eigentlich sammeln sie nur Kapital, um damit wetten zu gehen. Für die Pflegeversicherung ist dasselbe im Gespräch. Auf diese Art und Weise wird viiieeel reales Kapital eingesammelt, dass viiieeele Bauern (und wer sonst noch einen echten Mehrwert schafft) erwirtschaftet haben, und irgendwelche Leute, die Sie nicht kennen und nicht zur Verantwortung ziehen können, verwenden das Kapital als Wetteinsatz. Die Gewinner klopfen sich auf die Schulter und nehmen sich zur Belohnung ein paar Millionen des fremden Kapitals mit heim. Die weitaus größere Masse der Verlierer zuckt die Schultern (war ja nicht ihr Geld) und stürzt sich in die nächste Wette.

Das alles habe ich dem Mädchen natürlich nicht erzählt. Ich war froh, dass sie den Sinn von Geld und der Begrenzung der Geldmenge verstanden hat. Und, mal ehrlich: der Rest macht auch viel zu viel Angst, als dass man darüber viel nachdenken möchte.

Schlagwort: Geschichten aus der heilen Welt

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