Mittwoch, 24. August 2011

Der Bauer und die Finanzkrise

Einem jungen Mädchen konnte ich einmal den Sinn der ganzen Zins- und Kreditbeispiele bei der Prozentrechnung in der Nachhilfe wie folgt erklären: Ein Bauer will Kartoffeln pflanzen, hat aber kein Geld dafür. Die Bank leiht ihm 1000€ zu 20% Kreditzins. Der Bauer kauft davon im Frühjahr Kartoffeln, bekommt im Herbst dreimal soviel Ernte, verkauft sie für 3000€ und zahlt der Bank 1200€ zurück. Nun hat die Bank ja auch kein Geld. Also zahlt sie dem Mädchen 2% Zinsen, damit sie ihre 1000€ Erspartes hinbringt. Schließlich hat der Bauer 1800€ fürs harte Arbeiten, die Bank 180€ fürs Investieren und das Mädchen 20€ fürs Nichtstun verdient. Alle sind zufrieden. Mutter Erde zahlt die Zeche.

Leider dauert das Geldverdienen auf diese Art viel zu lange und ist zu mühsam. Etwas zu produzieren kostet eben Zeit und Mühe. Die ungeduldigeren und gierigeren Zeitgenossen ersannen daher einen zweiten Markt, auf dem nicht echte Produkte, sondern Vertrauen, Hoffnung, Wetten und große Intransparenz den schnellen Gewinn versprechen: den Finanzmarkt. So kann der Bauer z.B. seinen Hof in eine Aktiengesellschaft überführen, d.h. er verkauft Anteile an seinem Unternehmen, was ihm das Geld derer in die Kassen spült, die hoffen, dass das Unternehmen langfristig Gewinn macht, also Dividenden abwirft.

Nun werden die Anteile zum Spekulationsobjekt auf dem Finanzmarkt: Anleger kaufen und verkaufen die Anteile unter sich, aber nicht, um in den Genuss der Dividende zu kommen (darauf muss man viel zu lange warten). Vielmehr erhöht ein steigendes Vertrauen in den Bauern die Nachfrage und daher den Preis seiner Unternehmensanteile auf dem Finanzmarkt. Geld verdienen kann man nun quasi über Nacht, indem man Anteile kauft und sie nach einer Preissteigerung wieder verkauft. Wer also korrekt auf die Vertrauensänderung anderer Anleger in den Bauern wettet, kann viel schneller Geld verdienen. Der Bauer merkt davon nichts und hat auch nichts davon; das verdiente Geld wurde nicht durch Leistung der Mutter Erde abgerungen, sondern den Anlegern mit dem höheren Vertrauen und schlechteren Wetten abgenommen.

Es geht aber noch viel mehr. Anteile kann man "leerverkaufen", d.h. zum aktuellen Preis verkaufen, ohne sie zu besitzen - mit der Verpflichtung, sie später zum dann geltenden Preis wieder zu "kaufen". Ist der niedriger, streicht man die Differenz als Gewinn ein. Wenn man genügend Geld hat, sind Leerverkäufe eine Gelddruckmaschine. Leerverkäufe spekulieren nämlich auf fallende Anteilspreise, also sinkendes Vertrauen, und wenn die anderen Anteilseigner eine solche Spekulation beobachten, fürchten sie um den Wert ihrer Anteile, werfen sie auf den Markt und setzen damit die selbsterfüllende Prophezeiung in Gang, weil das Überangebot den Preis tatsächlich sinken lässt. Das hier verdiente Geld stammt von Anlegern mit dem höheren Vertrauen in das vorgespielt sinkende Vertrauen geschickt agierender Finanzmarktbeeinflusser.

Das ist alles schon sehr abstrakt, aber es lässt sich immer noch mehr Geld verdienen. Zum Beispiel könnte eine Bank eine Wette darauf annehmen, wie erfolgreich ein Leerverkauf sein wird, und wer (gegen die Prognosen) die Wette gewinnt, der streicht Geld ein, das von den anderen Anlegern mit schlechteren Wetten auf das erwartete hohe Vertrauen wieder anderer Anleger in das scheinbar ausschlaggebende sinkende Vertrauen noch anderer Anleger stammt ( uff ... von dem Bauern haben wir schon lange nichts mehr gehört).

Wenn Sie bis hierher gelesen haben, dann sind Ihnen gewiss schon ein paar Dinge aufgefallen. Erstens: für Sie als kleiner Anleger sind Finanzmärkte eine riesige Kapitalvernichtungsmaschine. Ihr Wissen und Ihre Möglichkeiten sind zu beschränkt im Vergleich zu den wenigen Spezialisten am Finanzmarkt, die mit riesigen Geldmengen den Markt in ihrem Sinne beeinflussen, so dass Sie fast sicher zu den vielen Wettverlierern in dem Spiel gehören. Selbst der Wert gekaufter Anteile hängt nicht von Ihnen ab, sondern vom Vertrauen anderer, und wenn da mal kein Vertrauen mehr ist, haben Sie einen Totalverlust.

Nun gut, können Sie sagen, ich muss an dem Spiel ja nicht teilnehmen. Irrtum! Sie müssen es längst!

Nun kommt nämliche die zweite, viel schlimmere Erkenntnis: Natürlich braucht man Kapital als Wetteinsatz, und die großen Mitspieler brauchen viiieeel Kapital - das sie nicht haben. Also holen sie es sich. Von Ihnen. Die Banken locken Sie mit Tagesgeldzinsen, damit Sie ihnen Ihr Kapital zum Spielen zur Verfügung stellen. Wenn die Bank verliert, dann gibt es zwar einen Einlagensicherungsfonds, aber den haben Sie vorher auch schon mitfinanziert. Wenn die Bank noch mehr verliert, als sie besitzt, dann bezahlt neuerdings der Staat die Wettschulden, und der Staat, das sind, nun ja, Sie als Steuerzahler.

Und haben Sie sich mal gefragt, warum die Rentenversicherung Ihnen empfiehlt, einen Teil Ihres Einkommens den Versicherungen, Banken und Fondsmanagern anzuvertrauen? Sie nennen das private Altersvorsorge, aber eigentlich sammeln sie nur Kapital, um damit wetten zu gehen. Für die Pflegeversicherung ist dasselbe im Gespräch. Auf diese Art und Weise wird viiieeel reales Kapital eingesammelt, dass viiieeele Bauern (und wer sonst noch einen echten Mehrwert schafft) erwirtschaftet haben, und irgendwelche Leute, die Sie nicht kennen und nicht zur Verantwortung ziehen können, verwenden das Kapital als Wetteinsatz. Die Gewinner klopfen sich auf die Schulter und nehmen sich zur Belohnung ein paar Millionen des fremden Kapitals mit heim. Die weitaus größere Masse der Verlierer zuckt die Schultern (war ja nicht ihr Geld) und stürzt sich in die nächste Wette.

Das alles habe ich dem Mädchen natürlich nicht erzählt. Ich war froh, dass sie den Sinn von Geld und der Begrenzung der Geldmenge verstanden hat. Und, mal ehrlich: der Rest macht auch viel zu viel Angst, als dass man darüber viel nachdenken möchte.

Schlagwort: Geschichten aus der heilen Welt

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