Dienstag, 20. April 2010

Asche zu Asche

Geht es nur mir so oder höre ich in letzter Zeit sehr oft das Wort "Staatshilfen"?

Da hievt also ein isländischer Vulkan eine Aschefahne in die Luft, die Flugsicherung wird aschfahl im Gesicht und verbietet das Fliegen, und die Fluglinien machen keine Asche mehr, weil sie ihrem Kerngeschäft nicht nachgehen können.

Das ist nicht nur für die Fluglinien ein Problem.

Sondern auch für den Staat.

Denn wenn der deutschen Wirtschaft durch die Zwangsruhe im Luftraum täglich eine Milliarde Euro an Umsatz entgeht, dann sinken auch die Steuereinnahmen des Staats empflindlich.

Und trotzdem der Ruf nach Staatshilfen?

Ich frage mich, wann mal wer frech genug ist, um das Gegenteil zu verlangen.

Fällt es Ihnen auf? Es gibt nicht mal ein Wort dafür. "Wirtschaftshilfe" meint irgendwie dasselbe wie Staatshilfe. Komisch.

Aber die Zeit, in der der Staat die Wirtschaft zwingt, seine Billionenschulden mit ihrem Aktivkapital zu sichern und ihm bei Bedarf einfach mal so ein paar Milliarden einzuspritzen ... die werde ich wohl nicht erleben.

Schade eigentlich.

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Donnerstag, 8. April 2010

Die halbe Wahrheit

Kennen Sie dass, wenn Sie eigentlich müssten wie sie wollten, aber nicht können weil Sie nicht dürfen?

So ähnlich geht es wohl gerade einer ... sagen wir, etablierten Kirche in Deutschland.

Eigentlich müsste sie jeden ihrer Vertreter (ach was - jeden ihrer Angehörigen!), der dem Moralanspruch ihres Sittenkodex nicht entspricht, hochkant aus dem Laden werfen, weil sie ihre moralische Integrität wahren wollen. Das kann sie aber nicht, weil sie nach demselben Kodex nicht bestrafen darf, sondern vergeben soll.

Eine klassische fail-fail-Situation: wie sie sich auch anstellt - sie macht's verkehrt.

Nun könnten Zweifel an der Tragfähigkeit eines Sittenkodex aufkommen, der sich derart widerspricht.

Ich glaube aber, das Problem liegt an anderer Stelle, und zwar an einer, die auch für uns Wissenschaftler oft schmerzhaft ist. Halbwissen ist gefährlich, heißt es hier.

Die halbherzige Anwendung des religiösen Sittenkodex' ist es auch.

Soweit ich mich nämlich erinnern kann, ist die christliche Vergebungstheorie nicht voraussetzungslos. Ist denn der Matthäus Zöllner geblieben, nachdem er berufen wurde? Oder ist der Paulus nach seiner Bekehrung ein Saulus geblieben?

Wohl nicht. Die mussten alle ihrem Lebensstil abschwören und von Stund' an brave Christen sein. Wer bockte, dem ging es wie heute den Arbeitnehmern: erst Abmahnung, dann Rauswurf aus der Kirche (steht irgendwo in den Briefen; wenn Sie mich nach der Stelle fragen, such ich's mal raus). Vergebung? Pustekuchen. Zumindest solange der Delinquent nicht bereute.

An dieser Stelle zeigt sich die Gefahr vom Halbwissen. Beschränkt man sich nämlich auf die Vergebung und vergisst deren Voraussetzungen, kann man ganz leicht den Missbrauchsopfern einen Strick drehen und sie dafür in die Hölle schicken, dass sie unchristlicherweise nicht bereit sind, ihren Peinigern zu vergeben. Wie pervers!

Der zweite Fehler ist die Verwechslung zwischen Vergebung und Straffreiheit. Ich kann mich an einige Bibeltexte erinnern, die beides klar trennen (suche ich auf Anfrage gerne raus). Das hieße heute: vergeben (also vielleicht: keinen Groll mehr hegen), aber nicht vor den Folgen schützen. Und die Folge heißt beim Kindesmissbrauch ganz klar "Staatsanwalt". Das ist zwar eine deftige Backpfeife für den Missbraucher, aber erstens gehört das Verbrechen eh in die Gewalt des Staates, zweitens lernt er vielleicht was draus, drittens schmälert der Knast nicht sein Seelenheil (ihm ist ja schließlich vergeben worden), und zuletzt: soll der Christ bei der Backpfeife nicht auch nocht die andere Wange hinhalten?

Na also.

Äh, was ich jetzt ganz vergessen habe: Warum haben wir jetzt gerade die Diskussion über Missbrauch und Vertuschung? Wenn die zweifellos nicht unchristlichen Prinzipien "Rauswurf-bei-Reuelosigkeit" und "Vergebung-ja-Straffreiheit-nein" angewendet würden, gäbe es gar keinen Anlass dafür.

Aber vielleicht sehe ich das nur zu einfach.

Ich schaue ja auch nur von der Seite auf diese Institution.

Und verfüge nur über ein gefährliches Halbwissen.

Womit ich mir mit diesem Beitrag erfolgreich ins Knie geschossen hätte. Wenn das nicht alles so wahr und traurig wäre.

Schlagwort: Verrückte Normalo-Welt

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Dienstag, 6. April 2010

Tod dem Internet

Die Kultur des Abendlandes stand auf dem Spiel. Bis dahin war alles so schön gewesen.

Die Klöster und die Universitäten waren die Horte der Weisheit und der Wahrheit. Ihre Bücher waren prächtig eingebunden, mit sinnesanregenden Malereien aus teuerstem Indigo und Gold ausgestattet, und konnten sicherheitshalber abgeschlossen werden. Wer Unwahrheiten schrieb - Leute wie Arius oder Abaelard gehörten zweifelsohne zu diesen - wurde dazu verdonnert, seine Schriften zu verbrennen, und das Problem war aus der schönen heilen Welt.

Bis der Buchdruck aufkam.

Plötzlich konnten Häretiker ihre unkatholischen Häresien verbreiten (Luther), Wissenschaftler ihre unorthodoxen Theorien (Galilei), Philosophen ihre gottlosen Ideen (Voltaire), Strolche ihre unkeuschen Träume (Aretino). Und Gott seine Bibel in der Landessprache.

Dieser Gensfleich von Gutenberg war an allem schuld. Flugblätter, Traktate und Büchlein konnten zu so geringen Kosten, in so geringer Zeit und in so hoher Auflage hergestellt werden, dass niemand mehr in der Lage war, die Verbreitung von Nutzlosigkeiten und Unwahrheiten zu verhindern. Wie furchtbar!

Auch unter Gruppen mit Partikularinteressen war das Geschrei groß. Klöster und Universitäten fürcheten um ihre Vormachtstellung, viele Abschreiber und Miniaturenmaler wurden nicht mehr gebraucht.

Sie hatten durchaus mit gewichtigen Argumenten aufzuwarten.

So sind die Bücher seit den handgefertigten Folianten bis heute sicherlich schmucklos und künstlerisch weitgehend wertlos geworden. Und ohne Zweifel hat sich auch der moralische und wissenschaftliche Anspruch des Durchschnitts aller Druckwerke dramatisch verschlechtert.

Es würde mich interessieren, was Sie dazu sagen. Hätten wir den Buchdruck lieber in Bausch und Bogen verdammen und unterbinden sollen, damit die Wahrheit rein, die Bücher kostbar, die Moral unberührt und die Abschreiber in Lohn und Brot bleiben? ... Nun?

Ich warne vor voreiligen Schlüssen. Der Buchdruck hat auch wirklich schlechte Seiten. Er hat z.B. auch zur Verbreitung des Hexenhammers beigetragen, jenes pseudowissenschaftlichen Machwerks, das vielen Frauen während der Hexenverfolgung das Leben gekostet hat, weil sie der darin enhaltenen Phänomenologie entsprachen -- und nachdem sie in den darin beschriebenen Regeln gefoltert worden waren.

Nichts ist nur gut.

Interessant ist, wie die Leute mit dem Römischen Index (der verbotenen Bücher) auf die Entwicklung reagierten. Sie stellten einfach immer mehr Bücher auf den Index. Am Anfang verbrannten sie noch die Autoren (Bruno, Tyndale), dann nur noch die Bücher (Boccaccios Decamerone, Luthers Schriften, der Koran, die Bibel...). Erst seit 1965 gibt es den römisch-katholischen Index nicht mehr. Galilie, Bruno, Aretino, Voltaire, Luther, die Bibel - sie sind alle noch da.
Epic Fail.

Heute sieht man so etwas ähnliches mit dem Internet geschehen.

Ohne Zweifel stellt es den Klugen wie den Dummen, den Aufrichtigen wie den Betrügern, den Moralaposteln wie den Perversen eine Plattform zur Verfügung.

Dieser Tim Berners-Lee war an allem schuld. Webseiten, Blogs und Chats können zu so geringen Kosten, in so geringer Zeit und mit der ganzen Welt als Publikum verbreitet werden, dass niemand mehr in der Lage ist, die Verbreitung von Nutzlosigkeiten und Unwahrheiten zu verhindern. Wie furchtbar!

Auch unter Gruppen mit Partikularinteressen ist das Geschrei groß. Verlage und Rechteinhaber fürchten um ihre Einnahmequellen, CD-Singles und Zeitungen werden nicht mehr gebraucht.

Sie haben durchaus mit gewichtigen Argumenten aufzuwarten.

So ist der Qualitätsjournalismus der Nachrichtenagenturen sicherlich nicht zu vergleichen mit dem Geschriebsel der Amateurblogger und Wikipediaabschreiber. Und ohne Zweifel hat sich auch der moralische und wissenschaftliche Anspruch des WWW dramatisch verschlechtert, von verschiedenen Betrugsversuchen gar nicht zu reden.

Interessant ist, wie die Entscheidungsträger auf die Entwicklung reagieren.

Gerade wird zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren über sogenannte Netzssperren diskutiert. Kinderpornographie, betrügerische Bankseiten, politische und religiöse Hassschriften, Bombenbauanleitungen, illegale Glücksspiele, verleumderische Blogs ... alles auf den Index!

Stoppschild davor! DNS-Eintrag fälschen! Betrachter protokollieren! BKA vorbeischicken! PC konfiszieren!

Warum stellen wir uns so an? Haben wir wirklich nichts dazugelernt?

Die Bücher von Damals sind wie das Internet von heute der Spiegel der Gesellschaft. Kein Konto wird "im Internet" leergeräumt, keine Bombe im Internet gebaut, keine Hasspredigt im Internet ausgedacht, kein Kind im Internet vergewaltigt.

Das passiert alles in der realen Welt. Das machen alles richtige Menschen.

Und durch das Internet wird uns heute - wie durch die Bücher damals - der brutale Spiegel vorgehalten, in dem wir eine Fratze sehen, von der wir nichts wissen wollen.

Wer dann die Augen verschließt und laut "Stoppschild" ruft, der scheitert schon, weil der die Lage nicht erkennt. Viel weniger kann er sie verbessern.

Andererseits verstehe ich auch den Aufschrei der Internetgemeinde nicht ganz. Das WWW ist zwar praktisch, spielt aber in der Öffentlichkeit noch keine 20 Jahre eine Rolle. Und vorher gab es ja auch Demokratie, Meinungen, Zensur, Aufklärung, Revolutionen und Kriminalität.

Warum sollen wir das in Zukunft nicht auch mit einem zensierten Internet hinbekommen?

Wer sagt, dass wir nicht ein anderes Medium finden?

Ich rate zum Beispiel jedem, der Bilder von Kindern in aufreizender Pose sucht, nicht die ganze Nacht erfolglos im Internet zu suchen. Lassen Sie sich die Handys Ihrer Youngsters geben und suchen Sie sich die MMS durch, da dürfte genug drinstecken. Wenn ein Lehrer die Handys seiner Klasse einsammelt ... nicht auszudenken, der Sündenpfuhl auf seinem Lehrertisch. Und ganz legal!

Immerhin scheint es zur Zeit, als könnte das Internet die Buch- und Zeitungsdrucker alle von der Bildfläche verschwinden lassen. Eine späte Genugtuung für die Kurie und die Miniaturenmaler, die sich dasselbe schon vor 500 Jahren gewünscht haben.

Niemandem sei verboten, dasselbe für das WWW zu hoffen.

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