Montag, 5. Februar 2018

Nachruf auf #metoo

Eine faszinierende Tatsache ist, dass Deutschland noch 70 Jahre nach dem 2. Weltkrieg Denkmäler für die eigene Schuld baut. Die Nazis waren die Bösen, das ist klar, und deshalb hat man ihnen juristisch und geschichtlich auch den Prozess gemacht. Aber auch in meiner Familie sind der Nazis wegen Väter umgekommen, Mütter Witwen und Kinder Halbwaisen geworden. Waren wir nicht Opfer, die die Suppe auszulöffeln hatten?

Bis heute kann man sich bei solchen Gedanken auf die Gegenfrage gefasst machen: "Und was habt ihr damals dagegen getan?". Als hätten wir Mitschuld wegen unterlassenen Tyrannenmords.

Dabei gab es genügend menschlich verständliche Gründe, das mit dem Tyrannenmord bleiben zu lassen. Georg Elser und der Gruppe vom 20. Juli ist er nicht gut bekommen, der Henker kam selbst fürs Postkartenschreiben. Dennoch wird denen, die sich vor Denunzianten und um ihr Leben fürchteten, der Opferstatus verweigert.

Warum ist das bei #metoo eigentlich anders? Die meiste Aufmerksamkeit bekommt die Bewegung, wenn eine einigermaßen bekannte Frau berichtet, vor Jahrzehnten von einem viel bekannteren Mann sexuell angegangen zu sein.

"Und was hat sie damals dagegen getan?"

Ja, was schon. Sie wird behaupten, es hätte ihnen eh keiner geglaubt, und wenn das wahr ist, wäre das abscheulich. Nur: es wäscht sie moralisch nicht rein. Wer weiß, ob ihnen nicht doch jemand zugehört hätte? Die erste Frau, die von Weinstein angegangen wurde, dann Zeter und Mordio geschrien und den Fall öffentlich gemacht hätte, würde so vielen Frauen nach sich ein Martyrium erspart haben. Jede Frau, die heute unter #metoo eine Offenlegung schreibt, fällt sich selbst ein blamables Urteil: nämlich Mitläuferin gewesen zu sein. Den Tyrannen nicht gemordet zu haben, macht zur Mittäterin, nicht zum Opfer. "#metoo" als Kürzel für: "Ja, auch ich habe dieses System lange durch mein Schweigen unterstützt."

Da fällt mir auf: Nicht nur heute besteht die halbe Menschheit aus Frauen, und die Mehrheit der Männer aus anständigen Menschen. Woher nehmen die angeblichen Opfer eigentlich die Gewissheit, ihnen hätte damals keiner geglaubt? Hätten nicht wenigstens alle anderen Frauen und die anständigen Männer ihnen geglaubt, so wie heute?

Wie soll ich mir das erklären? War es vielleicht so, dass die nächste Schauspielerin, noch zwei Jahre jünger und bereit zu noch größeren Schandtaten, ihre Empörung eben gar nicht geteilt hätte, sondern nur darauf wartete, dass ihre Konkurrentin die Couch bei Weinstein wieder frei machte?

In dem Fall wäre nicht der eine böse Mann der Täter und die armen Frauen die Opfer, sondern es wären die Frauen selbst gewesen, die dieses System so lange am Laufen hielten.

Ganz wie bei Hitler und den Deutschen.

Ja, so muss es wohl gewesen sein.

Schlagwort: Fadenschein

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