Ich weiß nicht, was Sie gerade gegessen haben, aber es sollte Ihnen gleich wieder hochkommen bei dem schlechten Scherz, der an diesem Faschingsdienstag gespielt wurde. Nein, es geht nicht um Guttenberg und nicht um Gaddafi - das sind nicht mal Randnotizen im Vergleich zu dem, was Sie in Kürze in Deutschland und der restlichen "ersten Welt" erleben werden.
Doch der Reihe nach. Sie haben vielleicht die Diskussion um die Tigermütter mitverfolgt. Das ist die Spezies, die ihren Kindern von Anerkennung über Freizeit und Liebe alles Menschliche verweigert und sie stattdessen von klein auf wie rücksichtslos zu perfektionierende Leistungserbringer behandelt.
Ich habe mich dabei zuerst gefragt, warum wir eigentlich immer in Extreme fallen müssen? Gerade ist noch die antiautoritäre Erziehung der 60er und 70er, in der noch jede Beeinflussung des kindlichen Charakters zur Vergewaltigung erklärt wurde, stark verwässert in Form des Klapsverbots ins BGB hinübergehallt (ins BGB!), da erscheint vor unseren Augen eine Armee von Eltern, rührungslos wie Terrakottasoldaten, die schon ihre Ungeborenen im Mutterleib mit Fremdsprachen beschallen, von kleinen Rotznasen Perfektion am Geigen- wie am Sportbogen verlangen, und die ihre Teenager, um die sich die Pubertät drückt wie das Rind ums Bolzenschußgerät, nur auf Eliteunis mit integrierter Doktorwürde akzeptieren können, oder besser noch im Vorstand eines Fortune-500-Unternehmens.
Ich möchte laut aufschreien beim Anblick dieser Zombies, die mir schon heute, meist asiatisch, mitternachts in der Uni im Delirium vor die Füße taumeln und mir Bewerbungen mit Zitaten deutscher und amerikanischer Philosophen schicken. Diese Tigermuttererziehung, das gilt es klar zu sagen, hat nichts mit der Vermittlung von Arbeitsethik zu tun, oder von Normen, oder gar von Tugenden. Diese Kinder lernen nicht, weil sie Wissen schätzen. Sie arbeiten nicht, weil sie Anstrengung für richtig halten. Sie ehren nicht, weil sie einschätzen könnten, wem Ehre gebührt. Mit ein bisschen Rückblick aufs vergangene Jahrhundert kann man getrost sagen, dass hier die neue Herrenrasse geschaffen werden soll: Eine gegen sich und andere rücksichtslose, jedem Gefühl abholde, keine Imperfektion verzeihende Masse an funktionierendem Menschenmaterial.
Nun, das mag weit hergeholt klingen. Sicherlich hat die heutige Welt solchen rastlosen, "unmenschlichen" Geistern wie Alan Turing, Kurt Gödel, Albert Einstein, Karl-Friedrich Schinkel, Friedrich dem II. oder Napoleon Bonaparte (um nur mal die neuere Geschichte zu streifen) viel zu verdanken, auch wenn die Liste ihrer Verdienste durchaus durchwachsen ist. Ohne sie hätten wir heute vielleicht eine ungeknackte Enigma, keine Atombombe, kein GPS, keine allgemeine Schulpflicht, keine Kartoffeln oder kein BGB. Doch als Menschen waren diese Leute nicht zu gebrauchen, und sie sind dankenswerterweise Einzelfälle unter den paar Milliarden Menschen, die die Erde bisher gesehen hat.
Heute geht es aber nicht darum, die Genies ihre Sache machen zu lassen, sondern Kinder mit aller Macht in eine künftige Leistungselite mit reserviertem Platz an der Sonne einzugliedern. Wenn Sie beim Wort "Herrenrasse" oben ans Dritte Reich gedacht haben, sind Sie schon auf dem richtigen Dampfer. Genau darum geht es: die Kinder an dem kleinen Kuchen der Weltbeherrschung teilhaben zu lassen und sich selbst in der Mutterschaft der Übermenschen zu sonnen. Dass das keine Hirngespinste sind, zeigte der heutige Tag.
Heut ist der deutsche Ethikrat zum Schluss gekommen, dass Präimplantationsdiagnostik nicht abzulehnen sei. Ich will darüber gar nicht diskutieren, sondern weiterdenken. Wissenschaftliche Fortschritte gibt es nämlich in einem benachbarten Gebiet: der Pränataldiagnostik. Dabei wird einer Schwangeren Blut abgenommen, Bruchstücke des Fötus-Genoms daraus extrahiert und dann kann's losgehen. Trisomie 21 (Down-Syndrom)? Feststellbar. Diabetes? Rot-Grün-Blindheit? Blaue Augen? Blonde Haare? Alles da, und ohne Aufwand oder Risiko für den Fötus (zumindest nicht gleich). Bald können Sie den Test in der Apotheke oder zu Hause machen.
Es bedarf keiner besonderen Begabung um vorherzusehen, was folgt. Als Schwangere werden Sie diesen Test haben müssen, zuerst so sehr, wie man ein iPhone braucht, und später so sehr, wie eine ostdeutsche Friseurinnenazubine einen zwei Tageslöhne teuren Personalsausweis haben muss. Keine Krankenkasse wird Ihnen Therapien für ein behindertes Kind bezahlen, nur weil Sie die Diagnose abgelehnt haben oder trotz Diagnose nicht abgetrieben haben. Und wenn man in Ihrem Blut nebenbei eine Erbkrankheit entdeckt, brauchen Sie sich gar keine Illusionen machen, je eine Geburtsklinik nochmal von innen zu sehen. Während die ganze Entwicklung auf dem Egoismus der Designereltern basiert, perfekte Elitekinder zu haben, wird man den Spieß umdrehen und Ihnen Ihren Egoismus vorhalten, der Volksgemeinschaft ein nicht ganz so perfektes, durchschnittliches oder, Gott behüte, gar behindertes Kind aufzubürden. Stupide Elternpietät. Wir leben im 21. Jahrhundert und müssen unsere Wünsche und Gefühle, unser Leben und unsere Kinder den großen Visionen der Weltfortentwicklung opfern.
Es ist wirklich eins zu eins dieselbe Ideologie wie im Dritten Reich. Nur, dass die Nazis nicht die ersten und nicht die letzten damit waren. Und dass Lebensborn, Aktion T4 und Gestapo bei allem Entsetzen nur lächerliche Dilettantenstücke waren im Vergleich zu dem gnadenlosen Fortpflanzungs-, Bildungs- und Leistungsfaschismus, in dessen gesellschaftliche Zwänge die Schwellen- und Industrieländer wohl noch vor den Ländern der Dritten Welt geraten werden. Und leider ist es auch schwieriger, den Feind zu erkennen. Auf welchen Hitler müsste Stauffenberg heute ein Attentat planen, welche Enigma gilt es heute zu entschlüsseln, welches OKW müsste man heute zur Kapitulation zwingen?
Und was, wenn wir es nicht tun? Was wird passieren, wenn sich die perfekten Heere von Pakistanis, Israelis, Chinesen und Inder im Kampf um Lithium, Erdöl, Sojabohnen, Fisch, Wasser und den Kosmos gegenüberstehen? Wird jeder von ihnen alles, was er beherrscht - seine 10 Sprachen, seine diplomatische Verhandlungsführung, seinen physikalischen, geographischen, geschichtlichen Sachverstand - einbringen, um in einer entspannten Gesprächsrunde Friede, Freude und Eierkuchen herbeizuführen? Oh, oh.
Meine Güte. Bei der Forschung in der Informatik kommt man ja auch vor ethische Probleme (Schnüffelprogramme schreiben? Software für die Kriegführung entwickeln?). Aber was man die Humangenetiker da gerade lostreten lässt, ist echt eine Nummer zu groß.