Donnerstag, 8. April 2010

Die halbe Wahrheit

Kennen Sie dass, wenn Sie eigentlich müssten wie sie wollten, aber nicht können weil Sie nicht dürfen?

So ähnlich geht es wohl gerade einer ... sagen wir, etablierten Kirche in Deutschland.

Eigentlich müsste sie jeden ihrer Vertreter (ach was - jeden ihrer Angehörigen!), der dem Moralanspruch ihres Sittenkodex nicht entspricht, hochkant aus dem Laden werfen, weil sie ihre moralische Integrität wahren wollen. Das kann sie aber nicht, weil sie nach demselben Kodex nicht bestrafen darf, sondern vergeben soll.

Eine klassische fail-fail-Situation: wie sie sich auch anstellt - sie macht's verkehrt.

Nun könnten Zweifel an der Tragfähigkeit eines Sittenkodex aufkommen, der sich derart widerspricht.

Ich glaube aber, das Problem liegt an anderer Stelle, und zwar an einer, die auch für uns Wissenschaftler oft schmerzhaft ist. Halbwissen ist gefährlich, heißt es hier.

Die halbherzige Anwendung des religiösen Sittenkodex' ist es auch.

Soweit ich mich nämlich erinnern kann, ist die christliche Vergebungstheorie nicht voraussetzungslos. Ist denn der Matthäus Zöllner geblieben, nachdem er berufen wurde? Oder ist der Paulus nach seiner Bekehrung ein Saulus geblieben?

Wohl nicht. Die mussten alle ihrem Lebensstil abschwören und von Stund' an brave Christen sein. Wer bockte, dem ging es wie heute den Arbeitnehmern: erst Abmahnung, dann Rauswurf aus der Kirche (steht irgendwo in den Briefen; wenn Sie mich nach der Stelle fragen, such ich's mal raus). Vergebung? Pustekuchen. Zumindest solange der Delinquent nicht bereute.

An dieser Stelle zeigt sich die Gefahr vom Halbwissen. Beschränkt man sich nämlich auf die Vergebung und vergisst deren Voraussetzungen, kann man ganz leicht den Missbrauchsopfern einen Strick drehen und sie dafür in die Hölle schicken, dass sie unchristlicherweise nicht bereit sind, ihren Peinigern zu vergeben. Wie pervers!

Der zweite Fehler ist die Verwechslung zwischen Vergebung und Straffreiheit. Ich kann mich an einige Bibeltexte erinnern, die beides klar trennen (suche ich auf Anfrage gerne raus). Das hieße heute: vergeben (also vielleicht: keinen Groll mehr hegen), aber nicht vor den Folgen schützen. Und die Folge heißt beim Kindesmissbrauch ganz klar "Staatsanwalt". Das ist zwar eine deftige Backpfeife für den Missbraucher, aber erstens gehört das Verbrechen eh in die Gewalt des Staates, zweitens lernt er vielleicht was draus, drittens schmälert der Knast nicht sein Seelenheil (ihm ist ja schließlich vergeben worden), und zuletzt: soll der Christ bei der Backpfeife nicht auch nocht die andere Wange hinhalten?

Na also.

Äh, was ich jetzt ganz vergessen habe: Warum haben wir jetzt gerade die Diskussion über Missbrauch und Vertuschung? Wenn die zweifellos nicht unchristlichen Prinzipien "Rauswurf-bei-Reuelosigkeit" und "Vergebung-ja-Straffreiheit-nein" angewendet würden, gäbe es gar keinen Anlass dafür.

Aber vielleicht sehe ich das nur zu einfach.

Ich schaue ja auch nur von der Seite auf diese Institution.

Und verfüge nur über ein gefährliches Halbwissen.

Womit ich mir mit diesem Beitrag erfolgreich ins Knie geschossen hätte. Wenn das nicht alles so wahr und traurig wäre.

Schlagwort: Verrückte Normalo-Welt

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