Die Serie "Die Brücke – Transit in den Tod" ist (noch) in der ZDF-Mediathek abrufbar.
Die vielen verschiedenen Handlungsstränge und Personen, die zunächst gar nichts miteinander zu tun haben, nur um zu einer gewissen Zeit unvorhergesehen zusammen ins Drama gerissen zu werden - aus meiner Sicht eine der Stärken der Serie.
Natürlich haben nicht alle Filme über Leute mit Asperger-Syndrom meine Sympathien, aber diese Serie hat das schnell geschafft (mit einer Einschränkung - siehe unten).
Für mich als Aspie war die Darstellung der Konflikte - von Aspies mit ihrer Umwelt, mit sich, und der Normalos mit ihnen am Beispiel der Hauptdarstellering Saga Norén schön dargestellt. Ich erkenne mich in ihrer Denkweise: Die Überwachung öffentlichen Raumes mit privaten Videokameras ist verboten - ist verboten - ist verboten: auch, wenn sie beim Ermitteln hilft. Den halbwüchsigen Sohn des Kollegen bei sich übernachten zulassen ist erlaubt - ist erlaubt - ist erlaubt: selbst wenn ... ja, seit wann braucht man für etwas Erlaubtes eine Rechtfertigung?
Auch, wenn ich es für Unsinn halte, dass ein erwachsener Aspie tatsächlich so handelt. Zumindest ich habe schon in der Pubertät gelernt, die sozialen Konventionen zumindest so gut es geht auswendig zu lernen und mir auszurechnen, wann sie einzuhalten sind. Man muss dabei nicht hundertprozentig erfolgreich sein, aber so verpeilt bezüglich sozialer Konventionen wie Saga wird wohl kein Aspie sein, der es zum Polizisten schafft. Als Filmsujet, wo man ein bisschen provozieren und überzeichnen muss, dennoch gut beschrieben.
Und jetzt kommt das große Aber.
Dieses Frühjahr kam die dritte Staffel der Serie ins deutsche Fernsehen, und sie war eine reine Enttäuschung.
Da ist einmal die Konzentration auf Sagas Asperger-Syndrom. Natürlich kommt ihr Verhalten 99% der Normalos komisch vor. Während ihr in den ersten beiden Staffeln durch die Person Martins ein ebenfalls, nur anders scheiternder Normalo entgegengesetzt wurde, bei dem sie mal auf Verständnis, mal auf Achselzucken, mal mit Widerstand stößt, wird ihr Anderssein in der dritten Staffel wie ein Kuriosum im Zirkus ausgestellt.
Ein Beispiel: Sicherlich finden Aspies nicht immer den richtigen Zeitpunkt, um ehrlich zu sein. Wenn Saga in den ersten beiden Staffeln Sex will, dann holt sie sich eben genau diesen - und nicht über den Umweg einer Beziehung. Die dritte Staffel hat aber keine neuen Ideen, um dieses eigentliche Unvermögen liebevoll in Szene zu setzen. Hier muss Saga aggressiv und beharrlich wie ferngesteuert fremde Leute um Geschlechtsverkehr anhauen. So laut und aufdringlich würde sich ein Aspie nie aufführen. Doch in der dritten Staffel wird Sagas Zustand, anstatt ihr Mitgefühl zu erweisen, als Schrulle festgeschrieben, karikiert und des Effekts wegen wie eine Kuh gemolken. Nicht oscarverdächtig.
Und die Ideenlosigkeit setzt sich fort. Während in den ersten beiden Staffeln selbst die Charaktere der Nebenrollen deutlich skizziert und differenziert wurden, scheint es in der dritten Staffel nur zwei Typen von Personen zu geben: toughe Frauen, so sehr auf Krawall gebürstet, wie ihnen ein Mitgefühl abgeht, und weinerliche Männer ohne Tiefgang, Prinzipien oder Blick für etwas Größeres als ihre eigenen Probleme. Dementsprechend ist die Staffel ein Wechsel zwischen Zickenkrieg, schwülstigen, bedeutungsschweren Dialogen und Männerbashing. Was hat das in einem Krimi zu suchen?
Ideenlosigkeit allenthalben auch beim Skript. Meisterhaft fand ich, wie in den ersten beiden Staffeln Spannung aufgebaut wurde. Man weiß, es ist ein Krimi; und je normaler und alltäglicher die Situationen (und die Kameraführung!), desto spannender wird es, weil man weiß, dass gleich etwas passieren muss.
Dagegen die dritte Staffel: anders als durch dunkle Einstellungen, quietschende Türen, pfeifenden Wind, Puppen aus dem Gruselkabinett und abgetrennte Gliedmaßen vermag sie keine Bedrohung darzustellen, und - ehrlich - nach den ersten 15 Minuten auch dadurch nicht mehr. Ich will nicht mit der Nase drauf gestoßen werden, wie gruselig das doch alles ist: ich will von selbst drauf kommen.
Und dann die Handlungsstränge. Die Hintergrundgeschichten der ersten beiden Staffeln sind zumindest in der Rückschau einigermaßen vorstellbar - ein paar kranke, fanatisierte, erpresste, verdorbene und gewissenlose Hirne mal vorausgesetzt. Gerade die sind vielleicht nicht mal so selten, was ja eben die kribbelnde Unsicherheit ausmacht, ob ein solches nicht gerade neben uns sitzt.
In der dritten Staffel dagegen überbordende Symbolik statt konkludentes Handeln, so dass man sich bis zum Erbrechen an CSI:Dingsbums erinnert fühlt. Skandinavische Kinder töten, um den millionenfachen Tod von Kindern der dritten Welt plastischer zu machen? So krank wie das ist - es ist stringent und macht den Übeltäter wegen ebenjener nachzuvollziehenden Logik so unheimlich. Der altsumerische Symbole in die Mundschleimhaut brennende Irre aus der dritten Staffel dagegen muss so verrückt sein, dass man es ihm sofort ansehen muss (SPOILER ALERT: das tut man auch).
Aber damit ist die Spannung auch weg. So durchgedreht wie der Täter der dritten Episode ist eben nur ein zu vernachlässigender Bruchteil der Gesellschaft, und für seine Opfer ist es dumm gelaufen, aber eine Bedrohung für die Allgemeinheit, also gerade auch den Zuschauer, ist er nicht.
Bleibt die Frage: warum ist die dritte Staffel so viel schlechter als die ersten beiden?
Ein Blick in die Wikipedia sagt: "Die dritte Staffel dreht sich um die Frage, was eine moderne Familie ist bzw. um alternative Lebensformen."
Aha. Eine politische Agenda, aber kein Stoff zum Erzählen. Leute, zum Mitschreiben: wo Krimi draufsteht, soll bitte auch Krimi drin sein. Eine politisch korrigierende Belehrung über LGBTQ* durch die Hintertür führt dagegen zu sowas wie der dritten Staffel von "Die Brücke" - es ist weder ein guter Krimi, noch eine gute Aufklärung, ja - nicht mal ein gutes Filmwerk überhaupt.
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Am besten klappt noch die Anamnese:
- Autisten mögen keine Berührung, die sie nicht selbst kontrollieren können
- Sie können sich nicht in die Gedankenwelt ihres Gegenübers einfühlen, ja nicht mal eindenken
- Sie verstehen nicht, warum Menschen Dinge sagen, die sie gar nicht meinen
Die These aber, die für so selbstverständlich gehalten wird, dass sie nicht mal ausdrücklich formuliert wird, heißt: das muss alles wegtherapiert werden. Weil, sonst kommen sie in der Welt der Normalos nicht klar.
Es ist noch nicht lange her, da hat man dasselbe von Linkshändern geglaubt. Unzweifelhaft ist die Welt auf Rechtshänder ausgerichtet, unzweifelhaft sind sie in der Mehrheit und definieren damit die „Normalität“. Und dennoch – irgendwann haben selbst die Rechtshänder gemerkt, dass es eine Gemeinheit ist, Linkshänder umzutrainieren. Wöllte man, dass alle dieselbe Hand gebrauchen, könnte man auch die Rechtshänder alle zur Linkshändigkeit zwingen, denn per se ist keine der beiden Händigkeiten besser als die andere, und für den einzelnen Umerzogenen ist die Tragik dieselbe. Es wird von ihm etwas verlangt, (1) was er nicht können kann, (2) nur weil es die anderen können – nicht etwa, weil es nötig wäre.
Nun nochmal zu den drei oben genannten Punkten.
Ich halte das für eine seelische Grausamkeit dem Kind gegenüber. Sagen Sie einem Kind, es soll doch mal umherfliegen, und zeigen Sie ihm, mit welcher Leichtigkeit selbst die Spatzen das tun können – dann haben Sie eine Vorstellung davon, wie es auf einen Autisten wirkt, wenn man von ihm verlangt, fremde Gefühle zu erkennen. Ich kann mich selbst noch an diese Ohnmacht erinnern, wenn ich solche Rätsel lösen sollte. An Gesichtern Gemütsbewegungen abzulesen ist etwas, das ich nicht kann, und bei allem Willen auch nicht erlernen kann. Ein Gesicht sagt mir nicht mehr als eine Betonwand, und selbst, wenn ich bei einem Gesicht lernen würde, wann es ein Gefühl ausdrückt – ich würde es beim nächsten Gesicht nicht wiedererkennen.
Wenn die Normalos also schon wissen, dass Autisten keine Gefühle erkennen können: warum quälen sie die Kinder dann damit, es doch zu tun? Und – welchen höheren Nutzen hat es? Dem Autisten fehlt nämlich überhaupt gar nichts, wenn er Ihre Gefühle nicht von Ihrem Gesicht ablesen kann: er vertraut seinen eigenen nicht, und er interessiert sich nicht für Ihre. Der in seinem Narzissmus gekränkte Normalo aber mag seine Gefühle nicht ignoriert wissen. Eigentlich ist er es, der mit dem Autisten nicht klarkommt und therapiert werden müsste - nicht umgekehrt.
Je, nun… Was ist falsch daran, Wörtliches wörtlich zu nehmen? Rein objektiv betrachtet: Zu sagen, man sei in 5 Minuten da, wenn man es weder kann noch es vorhat, ist sowohl Betrug als auch Hochstapelei. Es ist ja nicht so, als ließe sich das nicht auch anders ausdrücken: „Ich versuche, in etwa 5 Minuten wieder da zu sein, aber vielleicht wird es eher oder später“ wäre nicht nur möglich, sondern auch ehrlich und wirklichkeitstreu.
Aber wie selbstverständlich muss das autistische Kind lernen, mit den vorsätzlich ungenauen und unzutreffenden Aussagen der Umgebung klarzukommen. Normalos fassen sich nicht mal an die eigene Nase und überlegen, warum sie Dinge sagen, die sie nicht so meinen.
Aber vielleicht – vielleicht – wird der Autist irgendwann auch mal wie ein Linkshänder betrachtet: anders als die Mehrheit, mit einem völlig andersgearteten Satz an Fähigkeiten, den man aber so akzeptieren kann und nicht umerziehen muss.
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Wie mein Haussender SWR2 wissen ließ, kommt diese Woche der Film „Suffragette – Taten statt Worte“ ins Kino. O-Ton: „Underdogs kämpfen unter Einsatz ihres Lebens für eine gerechte Sache, werden von mächtigen Politikern unterdrückt und siegen ganz am Ende doch.“
Es geht um die Einführung des Frauenwahlrechts in Großbritannien. Diese den Suffragetten zuzuschreiben ist allerdings ähnlich richtig, wie Günter Schabowski für den Mauerfall verantwortlich zu machen.
Denn was heute wie der Sieg des armen Kätzchens gegen den bösen Rottweiler klingt, oder zum Befreiungsschlag der Frauen gegen Tausend Jahre Patriarchat hochstilisiert wird - stimmt so nicht.
Vielmehr war das Frauenwahlrecht der Abschluss einer einhundertjährigen Entwicklung, durch die überhaupt die Mehrheit der Bevölkerung das Wahlrecht erhielt.
Übrigens kämpften die Frauen damals keinesfalls für ein allgemeines Frauenwahlrecht. So wurde 1884 im Parlament angedacht, auch weniger gebildeten und vermögenden Männern das Wahlrecht angedeihen zu lassen. Die „Mistresses of Dulwich High School“ fanden in einer Eingabe vom 3. November 1884, dann sollten doch erst die „gebildeten und intelligenten Frauen, die Haushaltsvorstände sind“, das Wahlrecht bekommen. Die Arbeiterinnen waren auch ihnen egal.
Auch hier lohnt sich eine nähere Betrachtung, warum einige Konservative für und Liberale gegen das Frauenwahlrecht waren: Wie immer ging es nämlich nur um das Wahlrecht für vermögende Frauen – und das hätte den Konservativen, die keine tradierten moralischen Skrupel gegen politisierte Frauen hatten, nur genützt! Es blieb beim Klassenkampf.
Um die Relation zu sehen: nicht nur 8,4 Millionen Frauen erhielten das Wahlrecht neu, sondern auch 5,3 Millionen Männer. Dies war ein Sieg nicht nur für Frauen, die nun über 40% der Wahlberechtigten stellten, sondern auch der Männer, von denen nun fast doppelt so viele, und nicht mehr nur die reicheren und sesshaften, wählen durften.
Das allgemeine Frauen- wie auch Männerwahlrecht sind das Ergebnis einer dauernden geschichtlichen Entwicklung, die um 1830 in ganz Europa einsetzte und übrigens vorrangig von Männern betrieben wurde. Das Stichwort heißt hier Vormärz, die verschiedenen Revolutionen steigerten sich bis zu ihrer Niederschlagung 1849, wobei hunderte Männer ihr Leben ließen – ein wahrhaft höherer Blutzoll als der Olympe de Gouges‘.
Im Ergebnis kamen Deutschland 1871 und Großbritanninen 1918 zu einem allgemeinen Männerwahlrecht, und das allgemeine Frauenwahlrecht wurde in Deutschland 1918 eingeführt, in Großbritannien 1928 – nur 10 Jahre nach den Männern, und auf den Schultern der Männer.
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