Mittwoch, 13. Mai 2015

Das gleiche ist noch nicht dasselbe

... muss sich wohl der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen anlässlich einer heutigen Sicherheitskonferenz* gedacht haben.

In der Pressemitteilung seines Hauses lässt er sich zitieren: „Menschen stellen eine mögliche Sicherheitslücke dar, die von Unternehmen oft unterschätzt wird.“, und meint, nur ein Kuschelkurs der Unternehmen mit Behörden könne sie vor Taten schützen wie „illegalem Technologietransfer, Sabotage und Terrorismus.

That escalated quickly, ist man versucht zu sagen. Wirtschaftsspioniage? Zweifelsohne, das ist lebensbedrohlich für Firmen, besonders die KMU in Deutschland. Aber Sabotage und Terrorismus? Das erinnert mich doch mehr an Gerichtsprozesse im stalinistischen Ostblock oder an die fehlenden Gerichtsprozesse auf Guantanamo als an eine Besorgnis hiesiger Mittelständler. Ganz klar, hier hat der Verfassungsschutz das größere Interesse als die Wirtschaft, und damit sie auf den Zug aufspringt, wird Angst gemacht. Angst mit der Sicherheitslücke Mensch.

Wohlgemerkt, nicht mit dem Dummchen, das einen Dateianhang der Mail vom scheinbaren Abmahnanwalt doppelklickt und damit einen Trojaner installiert, sondern mit bösen Spionen. Während ich die erstere Spezies selbst kenne, frage ich mich: woher weiß man von den leibhaftigen Undercoverspionen in KMUs? Wann wurde da einer das letzte Mal öffentlichkeitswirksam verurteilt? Wie viele gibt es überhaupt davon? - Hm, also, dazu kann der Herr Maaßen nur beklagen, "bislang seien Firmen aus Angst vor Imageschäden noch sehr zurückhaltend damit, Spionagefälle durch eigene Mitarbeiter zu melden. Es gebe ein großes Dunkelfeld".

Ah, so ist das also. Nichts genaues weiß man nicht, aber da Spione eh immer Russen und Chinesen sind, trifft man mit so einer Vermutung sicherlich nicht die Falschen, oder wie soll ich das verstehen?

Aber Spionage, Spionage ... da war doch was ... ah ja, die Spionage der NSA, durchgeführt mit einem "Empfehl mich" vom BND. Die hat ja selbst der BND schon zugegeben, mit dem Sahnehäubchen, dass die NSA noch mehr zu spionieren versucht als selbst dem BND lieb ist, wenn er ihnen schon 2000 Selektoren streicht. Wohl gemerkt, das hat noch nichts mit den 1.300.000.000 Verbindungsdaten zu tun (oder 29.000 in der Minute), die der BND ganz unbesehen an die Amerikaner weiterleitet. Und die können ja auch nicht so unnütz sein, wenn man sich überlegt, dass sie dem früheren NSA-Leiter Hayden zum Töten reichen und warum es auch Facebook, Whatsapp, Linkedin usw. so wichtig ist zu wissen, wer denn nun mit wem so kommuniziert.

Das ist eine andere Dimension als der eine oder andere ominöse spionierende Mitarbeiter, den niemand je richtig gesehen hat und der so leicht und schnell nun auch nicht an die Filetstücke der deutschen Wirtschaft kommt!

Und was hat der Verfassungsschutzpräsident dazu zu sagen? „Bisher liegt wenig Greifbares vor“. Nur Mutmaßungen in seinen Augen! Nichts genaues weiß man nicht. Gehen Sie weiter, es gibt hier mutmaßlich nichts zu sehen.

Aber was soll der geneigte Leser davon halten, wenn eine aus Einzelfällen bestehende Chimäre als Drohkulisse an die Wand gemalt wird, während eine milliardenfache tatsächlich stattfindende Analyse als uninteressant abgetan wird?

Vielleicht, dass es not tut, den Einzelnen noch stärker zu überwachen, während man bei den Behörden noch nicht mal dran denken soll, ihr auf die Finger zu schauen?


9. Sicherheitstagung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und der Allianz für Sicherheit der Wirtschaft e.V. - ASW Bundesverband in Berlin, 13. Mai 2015
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Dienstag, 12. Mai 2015

Erzieherinnen kosten zu wenig

Die KiTas sind zu. Die Erzieherinnen streiken. In ihren Augen bekommen sie nicht genug Geld, und ihr Job ist ihnen zu stressig.

Nun ja, mir sind kaum Berufe bekannt, deren Vertreter nicht dasselbe von sich behaupten. Mit dieser Argumentation könnten wir einfach jedem das Gehalt erhöhen, und dann wären wieder alle unzufrieden, weil sie nicht mehr wertgeschätzt werden als jeder andere.

Doch gerade um die Wertschätzung geht es bei dem Streik, der mit dem Argument geführt wird: Erzieherinnen kümmern sich um unsere Kinder, und die sind unsere Zukunft, und das sollte uns schon mehr Geld wert sein.

Nur: Was hat das Gehalt einer Erzieherin mit der Zukunft meines Kindes zu tun? Wird sie mein Kind so lange schlecht betreuen, bis sie mehr Geld verdient? Ein öffentliches Bekenntnis zur Schlechtleistung also? So jemand hätte seinen Beruf verfehlt und gehörte gekündigt. Genau wie ich, wenn ich nur noch minderwertigen Programmcode schreiben würde, um meinen Chef zu erpressen.

Aber gesetzt den Fall, dass der Streik Erfolg hat: Ein überdurchschnittlich bezahlter Job zieht Leute an, die ihn wegen des Geldes ergreifen - nicht weil sie sich für das Fortkommen der Kinder interessieren. Das braucht niemand.

Kurz: zwischen Qualität der Erziehung und dem Gehalt der Erzieherinnen gibt es keinen kausalen Zusammenhang.

Anders sieht es mit dem Stress aus. Wenn eine Erzieherin sich um 6 oder 10 Kinder kümmern muss, dann bleibt für jedes Kind nur ein Bruchteil der Zeit und Aufmerksamkeit, die es zu Hause bekommen könnte, wenn es dort von den Eltern betreut würde. Dass die Erzieherin einen pädagogischen Abschluss hat, spielt hierbei kaum eine Rolle: das Konzept der Qualitätszeit ist mittlerweile widerlegt (welches besagte, Erfolg sei ein Produkt aus Qualität und Zeit, so dass man mit Kindern die Hälfte der Zeit verbringen könne, würde sie nur mit doppelt wertigen Aktivitäten gefüllt).

Erzieherinnen müssen also nicht besser bezahlt werden - es müssen mehr eingestellt werden! So, dass möglichst ein Erzieher auf drei oder zwei Kinder kommen.

Alle winken ab: zu teuer. So viel ist die Zukunft dann noch nicht wert. Aber es stimmt: Für die KiTa-Kosten eines Kindes stehen schon jetzt Zahlen von 1000-1300 EUR monatlich im Raum, plus Beteiligung der Eltern. Gäbe es dreimal so viele Erzieherinnen, wären wir schnell bei 4000 EUR pro Kind und Monat. Das sind ja keine fiktiven Kosten, die fielen tatsächlich an, und würden sie auf die Verursacher umgelegt, wäre es ganz schnell vorbei mit der institutionalisierten Kinderfremdbetreuung. Für das Geld könnte ich mir eine private Erzieherin nach Hause holen. Oder daheimbleiben und mir die Doppelbelastung Familie-Beruf sparen.

Genau hier liegt der eigentliche Grund für den Streik der Erzieherinnen. Das Problem ist nicht, dass sie zu wenig Geld verdienen, sondern, dass die Betreuung die Eltern zu wenig kostet (nämlich eine Größenordnung weniger als das, was sie tatsächlich wert ist). Das ist dasselbe wie mit dem Atomstrom. Nur - mit solchen Schlussfolgerungen können Sie natürlich keine Unterstützung für Ihren Arbeitskampf erwarten. Aber dafür haben Sie ja mich ;-) Ich verhandle selbst über mein Gehalt und brauche daher keine oberflächlich eingängigen, aber unlogischen Argumente zu fördern.

Schlagwort: Verrückte Normalo-Welt

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Montag, 27. April 2015

Wikipedia: Zu objektiv! Zu relevant!

Neulich (am 27. April 2015) so in den Stuttgarter Nachrichten: ein Interview mit Sabine Keitel von "Wikiwoman (sic!, aber das hat wohl die Redakteurin Sybille Neth so geschrieben) wissen mehr". Sie ist Referentin für den Bereich Frauen und Politik in der Landeszentrale für politische Bildung von Baden-Württemberg (deren Tatsachenverdrehungen ich hier thematisiert habe). Und als solcher gefällt ihr nicht, dass angeblich 89% der deutschen Wikipedia-Mitwirkenden Männer sind (oder 90% laut der Webseite der Landeszentrale).

Denn: Männer - das ist eben schlecht. "Mit den Autorinnen fehlen ... wertvolle Perspektiven." Perspektiven, oder zu deutsch Sichtweisen, in einem Lexikon? Da sind Männer natürlich noch nicht drauf gekommen.

Immerhin kennt die Referentin auch die Gründe dafür, warum weibliche Autoren in der Wikipedia mit Abwesenheit glänzen.

Es seien eben besonders jüngere und ältere Menschen aktiv. Hm. Sind denn diese Alterskohorten zu 90% männlich?

Mangelnde Zeit - nur 15% der Wikipedianer sollen Kinder haben, also sind Eltern eher nicht aktiv. Hm. Liegt denn der Frauenanteil an Eltern so weit über 50%?.

Rollenzuschreibung, Frauen hätten eher die Rolle des Fragenden als des Experten, würden deshalb nicht Autor.

Okay, das sieht wie das erste wirkliche Argument aus, auch wenn nicht gleich klar ist, wer den Frauen diese Rolle zuschreibt. Was würden Sie tippen? Das Patriarchat? Dann haben Sie Ihren Einfluss maßlos überschätzt, Sie alter wütender weißer Mann. Die Frauen schreiben sich diese Rolle nämlich selbst zu. Besser als die geschätzte Referentin kann ich es nicht ausdrücken: "Bei Wikipedia geht es um das Wissen. Frauen fühlen sich davon wenig angesprochen." Danke, Frau Sabine Keitel. Für Sie kommt es auf ein entsetzend misogynistisches Frauenbild nicht an, wenn es darum geht, diskriminierende Projekte zu finanzieren. Hoffentlich hält Ihnen jemand mal die Studierendenzahlen der Unis in Baden-Württemberg vor die Augen, damit Sie sehen, ob sich nur 10% der Frauen von Wissen angezogen fühlen, oder ob das nur Ihnen so geht.

Denn die Referentin hält Wikipedia für ein "demokratisches Beteiligungsprojekt". Das ist faktisch Unsinn (stellen Sie sich vor, man dürfte Sie von politischer Mitwirkung ausschließen, weil das Ministerium sie für einen Rowdy hält - das geht bei Wikipedia, und das ist auch gut so, aber das ist keine Demokratie). Aber es ist auch theoretisch Unsinn. Wissen ist keine Mehrheitsangelegenheit, die demokratisch zu klären wäre.

Wo sieht die Referentin den Beitrag von Frauen in der Wikipedia? Es sind zwei Dinge.

Frauen sollen "ihre Sichtweisen einbringen".

Ach? Das setzte wohl voraus, dass a) es in einer Enzyklopädie Sichtweisen geben sollte, b) bisher vorrangig männliche Sichtweisen vorliegen und c) sich männliche von weiblichen Sichtweisen unterscheiden. Ich halte alle drei Behauptungen für unwahr. Wer sie für wahr hält, wünscht sich eine ideologische, keine objektive Wikipedia. Und für Ideologie gibt es genau einen Platz in der Wikipedia: im Artikel "Feminismus#Ideologie".

Frauen sollen Artikel über Frauen und "Frauenthemen" schreiben, die an den "Relevanzkriterien der Enzyklopädie" scheitern.

Zum Beispiel über die Frauen "politisch engagierter Ehepaare", wo nur der Mann erwähnt sei (als ob Eva Braun keine eigene Wikipediaseite hätte). Sprich: schreibt über Irrelevantes! Und dann? Wollen wir Frauen extra häufig mit der demotivierenden Erfahrung konfrontiert sehen, dass ihre Artikel an den Kriterien scheitern? Oder ändern die Relevanzkriterien und nehmen herablassend auch Irrelevantes in die Wikipedia auf?

Die Mitarbeit an Wikipedia ist freiwillig und wird einem in den seltensten Fällen persönlich gedankt. Etwas für Idealisten und Altruisten auf diesem Gebiet. Es ist völlig sinnlos, ein spezielles Geschlecht für vermehrte Mitarbeit gewinnen zu wollen. Wer will und kann, arbeitet von sich aus mit und hat dann sowohl die nötige dauerhafte Motiviation, als auch das nötige Wissen, und zweifelsohne die notwendige innere Distanz, um professionelle Artikel zu schreiben. Diese Qualifikationen sind übrigens geschlechtsunabhängig.

Wenn sich weit mehr Frauen als Männer dafür entscheiden, ihre Freizeit und Kraft für andere Ziele einzusetzen, als ausgerechnet für Wikipedia - dann haben sie dafür wahrscheinlich gute Gründe, und niemand ist berufen, das zu kritisieren.

Wem wirklich etwas daran liegt, dass Bildung sowohl von Männern als auch von Frauen vermittelt wird, womöglich im ausgeglichenen Proporz, der mag sich auch am Geschlechterverhältnis von Lehrern in Grund- und Mittelschulen abarbeiten. Das ist auch relevanter als die Wikipedia.

Schlagwort: Fadenschein

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