Mittwoch, 3. Oktober 2012

Der Islam ist beleidigt? Das Christentum erst recht.

Irgendwer hat einen Film auf englisch gedreht, wo dem Propheten des Islam ehrenrührig Falsches angedichtet wird (nehmen wir an). Das ist nicht fein und ganz sicher überflüssig. Dennoch ist es nichts im Vergleich zur Beleidigung des Christentums durch den Islam.

Für das Christentum ist Jesus nämlich der von Gott extra vom Himmel auf die Erde gesandte, einzig(artig)e, sündenlose Sohn Gottes (Johannes 1,14; 17,5; 1. Petrus 2,22), während die Muslime ihn als einfachen Menschen unter vielen darstellen, wenn auch als Propheten. Wenn das mal keine Degradierung ohnegleichen ist und eine Beleidigung nicht nur für Jesus sondern auch für Gott.

Für die Christen ist Jesus außerdem der einzige Weg zu Gott, zur Errettung und zur Auferstehung – folglich braucht es keinen anderen Propheten, egal was die Menschen aus dem Christentum machen (Johannes 11,25; 14,6). Der Islam spricht Jesus alle diese exklusiven Fähigkeiten komplett ab und überträgt sie auf Mohammed. Das ist eine noch größere Beleidigung Jesu, denn sie macht seinen Tod wertlos, durch den die Sünden der Menschen verziehen werden, und es ist noch eine größere Beleidigung Gottes, dem die Menschen vorhalten, der von ihm gesandte Jesus sei zur Rettung plötzlich nicht mehr ausreichend.

Nun ist es nicht so, dass den Christen diese wohlgemerkt institutionalisierte Beleidigung (im Gegensatz zu einem schwachsinnigen Film einiger Spinner) nicht aufgefallen wäre – noch dazu durch eine Religion, die Jesus ja nicht ins Reich der Mythen schickt, sondern sich im Koran aneignet und entwertet. Allerdings handelt es sich bei der Interpretation von Jesus ja wohl um ein theologisches Problem und kein praktisches.

Die Kreuzzüge, mit dem eher praktischen Ziel, Palästina vom Islam zu befreien, dürfte mit diesem Diskurs wenig zu tun gehabt haben. Wohl eher mit der Macht- und Bedeutungsgier einzelner Christen und Muslime, auf die auch schon seit langem der Mantel des Vergessens sinkt. Der Ausgang der Kreuzzüge und die aktuelle Situation in Palästina kann also nicht als Lösung des theologischen Problems herhalten: dass die Theologie des Islams an sich die ganze christliche Heilslehre inklusive Jesus und Gott beleidigen.

Und genau das ist der Punkt. Die Beleidigung eines Menschen, der schon lange tot ist und mit dem die meisten Muslime gar nichts zu tun haben als dass sie zu den von ihm oft militärisch unterworfenen Stämmen gehören, geht den Menschen eben näher als die Beleidigung einer Theologie, mit der nun wieder die meisten Christen nichts zu tun haben als dass sie in ihrem heiligen Buch steht, das die meisten von ihnen nie gelesen, geschweige denn verstanden haben.

Von daher kann ich den Aufschrei der Leute schon verstehen. Nur würde ich ihnen raten zu überlegen, ob sie nicht gerade für die politische Agenda derjenigen instrumentalisiert werden, die das Werk erst mal ins Arabische übersetzen und dafür das angebliche Teufelszeug erst mal selbst in den Mund nehmen mussten, um dann den Betroffenen zu spielen.

Schlagwort: Verrückte Normalo-Welt

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Montag, 5. März 2012

Die Pflegefalle

Deutschland ist Spitzenreiter. Wieder mal. In keinem anderen europäischen Land wohnen prozentual so viele Haushalte zur Miete - statt in ihrem eigenen Heim (Quelle).

Oder in anderen Worten: in Deutschland verwenden soviele Menschen ihr Einkommen darauf, die Rendite fetter Kapitalgesellschaften zu bezahlen, statt ihr eigenes Kapital zu sichern, wie sonst in keinem europäischen Land.

Das ist tragisch. Nehmen wir mal ein typisches Ehepaar: Andreas und Silke. Wenn sie 80 Jahre in einer Mietwohnung zu 900 € Monatsmiete leben, haben sie 864.000 € bezahlt, die sie nicht vererben können. Wenn sie diese Zeit in ihrem Eigenheim leben, können sie monatlich dieselbe Summe zum Erhalt des Heims ausgeben, vererben aber schließlich das Heim an ihre Kinder - einen Wert, der leicht genauso hoch sein kann.

Die angeführte Quelle zeigt außerdem, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Einkommen und der Wohnsituation. Der Zusammenhang überrascht nicht: Wer viel verdient, wohnt häufiger im eigenen Heim, als wer wenig verdient. Das sagt uns nichts Neues: Wenn Andreas und Silke arm sind, bezahlen sie viel eher die Rendite für fremdes Kapital und können für die Kinder nichts zurücklegen. Sind sie wohlhabender, lassen sie ihr Kapital akkumulieren, indem sie andere die Rendite für ihr eigenes Kapital bezahlen lassen.

Was hat das nun mit der Pflegefalle zu tun? Ganz einfach. Jahrelang hat man uns gepredigt, dass Flexibilität eine Tugend und die Berufstätigkeit von Mann und Frau eine Frage der Gleichberechtigung sei. Wer der Arbeit nicht hinterherzieht oder einen Ehepartner nicht arbeiten schickt, kann es sich entweder finanziell leisten, oder wird sozial stigmatisiert.

Und jetzt kommt's. Wenn Andreas und Silke der Arbeit wegen ihren Wohnort wechseln, entscheiden sie sich wegen der damit verbundenen Verluste natürlich viel eher für eine Mietwohnung - und bezahlen damit anderen die Rendite für fremdes Kapital. Noch viel schlimmer: Wenn Andreas und Silke beide arbeiten gehen (müssen), kann keiner ihre Kinder hüten oder ihre Eltern pflegen. Das müssen dann Einrichtungen übernehmen, die Geld kosten. Jetzt bezahlen Andreas und Silke nicht nur die Rendite fürs Kapital anderer Leute, das in ihrer Wohnung steckt, sondern auch noch fürs Kapital anderer Leute, das im Kindergarten und im Pflegeheim steckt. Raffiniert, nicht?

Leider stellt niemand diesen Kapitalfluss - der in der Regel von Arm nach Reich geht - ernsthaft in Frage. Im Gegenteil. Gegenwärtig ist eine zusätzliche private Pflegeversicherung im Gespräch. Beim Stichwort privat sollten sich Andreas und Silke die Nackenhaare aufstellen, denn das bedeutet: Hier profitiert ein anderer davon, wenn sie Angst vor einer Eventualität haben, die sie ruinieren würde. Sprich: Die private Pflegeversicherung ist ein Instrumnet, damit der Arbeitnehmer nun auch noch die Rendite für das Kapital anderer Leute zahlt, das sie in der Versicherung angelegt haben.

Wenn sich Andreas und Silke das vor Augen halten, können sie dem Einverdienerhaushalt, bei dem jemand zu Hause bleibt und Kinder oder Großeltern pflegt, viel mehr abgewinnen. Sicherlich - beides ist ein harter Job. Aber er ist gut bezahlt. Es erspart ihnen, anderen Leuten ihre Kapitalrendite bezahlen zu müssen.

Schlagwort: Fadenschein

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Mittwoch, 1. Februar 2012

Von Nullen und Einsen

2006 war das Informatikjahr - 2005 war nämlich das Einsteinjahr; und obwohl jeder das Bild von Einstein mit der rausgestreckten Zunge kennt und zu glauben weiß, dass alles relativ sei - bringt mit der Informatik niemand eine Heilsfigur oder einen Allgemeinplatz in Verbindung. Also musste eine Werbekampagne für die Informatik her.

Die Träger ließen einheitliche Etiketten entwerfen, die auf "dank Informatik" endeten. Bei uns an der Uni tauchten daraufhin Aufkleber mit den Sprüchen "Ich bin eine Null - dank Informatik" und "Ich bin eine Eins - dank Informatik" auf. Sie kleben heute noch an den Türen.

Ob "eine Null" oder "eine Eins" sein in der freien Wildbahn vielleicht einen abschätzigen oder achtungsvollen Beigeschmack hat, interessiert den Informatiker nämlich nicht. Wir sind begeistert von der Informationsmenge, die sich mit einer Stelle darstellen lässt: das sind bei einem Bit genau zwei Zustände. Die müssen sich unbedingt unterscheiden - sonst wäre die Informationsmenge nämlich leer! Aber besser oder schlechter ist keiner von beiden Zuständen. Daher ist es egal, wie wir sie nennen. 1 oder 0. An oder aus. Ja oder nein. Wahr oder falsch. Mann oder Frau.

Mann oder Frau? Ja, das wäre eine schöne Welt, wo Männer und Frauen ihre Unterschiede nicht mehr verleugnen, sondern als einen Wert betrachten würden. Ich will das veranschaulichen.

Mit Bits (also Stellen, die 1 oder 0 sein können), kann man Zahlen ausdrücken. 00 bedeutet dann null, 01 bedeutet eins, 10 bedeutet zwei, 11 bedeutet drei usw. Jetzt könnte jemand fordern, dass in jedem Ausdruck genausoviele Einsen wie Nullen stehen müssen. Oder dass in jedem Ausdruck nur Einsen, nur Nullen oder nur #-Zeichen stehen dürften. Oder dass man 10 genauso oft als 01 schreiben sollte. Das mag irgendeiner Logik folgen, aber der Grund, warum Zahlen überhaupt existieren - nämlich einen Wert darzustellen - ginge verloren.

Wo ist also das Problem, wenn 95% der Informatiker männlich sind? Oder 95% der Kindergärtnerinnen weiblich? Gleichberechtigung ist keine 50%-Quote, Gleichberechtigung macht Menschen nicht austauschbar, Gleichberechtigung verlangt nicht, dass jeder alles macht. Gleichberechtigung ist die Freiheit des Einzelnen, an den Platz zu gelangen, der seinem Wert entspricht, den er in die Gesellschaft einbringen kann.

So macht aktuell eine Studie von J.L. Luby et al. die Runde, welche titelt, dass mütterliche Zuwendung in frühen Kindheitsjahren zu größeren Hippocampi (Gehirnstrukturen) führen, was mit besserer Stressbewältigung und besserem Gedächtnis in Verbindung gebracht wird (DOI). 97% der Fürsorgepersonen in der Studie waren zwar Mütter, doch die Studie sagt ausdrücklich, dass dasselbe Ergebnis mit Vätern, Großeltern usw. als Fürsorgeperson zustande gekommen wäre. Warum schreiben dann alle Nachrichtenagenturen voneinander ab, dass es die mütterliche Fürsorge ist, die sich positiv auswirkt? (Z.B. hier.)

Wahrscheinlich ein - nicht Freudscher, sondern genderischer Verschreiber. Die Realität (auch dieser Studie) zeigt: Es finden einfach mehr Frauen als Männer ihren Platz als Fürsorgepersonen für Kinder. Das ist ein Fakt, das ist also normal, und das schlägt selbst in Agenturmeldungen durch, wenn grad mal keiner an politische Korrektheit denkt, weil das Thema ein ganz anderes war. Wunderbar!

Wir wären als Gesellschaft viel weiter, wenn wir den Wert von Unterschieden begreifen und nutzen würden, statt ihn zu bekämpfen.

Schlagwort: Verrückte Normalo-Welt

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