Montag, 2. April 2018

Wir sind Datenskandal

Deutschland hat endlich einen eigenen Datenskandal. Die Post hat den Parteien Rasterdaten über Leute zugänglich gemacht, die sich nicht dagegen wehren können. Damit die Parteien gezielte Hausbesuche machen können.

Endlich müssen wir nicht mehr über das ausländische Facebook schimpfen, wir haben unsere eigenen Schlitzohren, wir sind wieder wer!

Aber Scherz beiseite, denn faz.net berichtet vom Hamburger Datenschutzbeauftragten Johannes Caspar, er habe im Zusammenhang mit Facebook die Meinung geäußert, es gehe nicht an, so "den Wählerwillen zu manipulieren".

Was Leute heute so unter Manipulation des Wählerwillens verstehen...

Ehrlich: Käme eine Partei auf die Idee, aufgrund von Microtargeting bei mir vorzusprechen, und ich hätte die Zeit dazu - ich würde sie reinbitten und versuchen, sie in Grund und Boden zu reden. Gelingt mir's, habe ich gute Argumente. Wenn nicht, dann bekomme ich gute Argumente. Win-win.

Natürlich ist das eine Form von Manipulation, aber was ist "politische Willensbildung" (Copyright Grundgesetz) anderes als Manipulation? Manipulation ist per se ein neutraler Begriff (genau wie Sanktion). Ich kann mir grad nichts besseres vorstellen, als eine Partei aufgrund einer gelungenen Argumentation (nicht) zu wählen.

Aber zu den Wahlplakaten der Parteien halten all die "Manipulation!"-Krakeeler seltsamerweise den Mund. Dabei stellen diese meiner Meinung nach wirklich eine unzulässige Manipulation dar. Ein Foto (was ein belangloses ad-hominem-Argument darstellt), dazu ein noch belangloserer Text - das ist wahrlich keine sinnvolle Grundlage für eine Wahlentscheidung.

Der Wähler muss aber auch ungefragt in der Vorwahlzeit hundertfach an solcher Werbung vorbei, nimmt sie im Unterbewusstsein wahr, und leider sind wir geneigt, eine Unwahrheit nach hundertfacher Wiederholung nicht mehr so ganz in Frage zu stellen. Möchte man Wahlmanipulation verbieten, müssten zuerst die Plakate verschwinden.

Ich fühle mich von Herrn Caspar aber auch persönlich auf den Schlips getreten.

Denn er wirft mir - dem Souverän, der die Geschicke des Landes durch Wahlen bestimmt - vor, ich könne mir keine eigene Meinung bilden oder sie wenigstens nicht kundtun, sondern hinge wie eine Puppe an den Stricken eines Manipulators, während ich mein Kreuzchen mache. Diese Einschätzung halte ich für ehrabschneidend.

Andererseits wäre es möglich, dass Herr Caspar Recht hat und wir wirklich alle manipuliert werden, eine Partei zu wählen, die wir eigentlich nicht wollen. Womöglich bringt ihn die hohe Prozentzahl an Wählerstimmen für Parteien, die man rational nicht erklären kann, zu dieser Annahme. Dann aber stellt sich aber doch die Systemfrage, ob man demokratische Wahlen sinnvollerweise überhaupt veranstalten sollte.

Nun, es gibt genügend Leute, die sich parallel zum Medienkonsum permanent fragen, wozu sie denn jetzt schon wieder beeinflusst werden sollen. Es hat etwas gedauert, aber wir sind jetzt soweit, Herr Caspar, Ihre Sorgen sind unbegründet, spätestens seit der Ukrainekrise traut hier kaum noch jemand einem öffentlichen Meinungsbildner über den Weg.

Schlagwort: Verrückte Normalo-Welt

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