Mittwoch, 13. Juli 2016

Genderwissenschaften: Bitte werden Sie dümmer

Mich stört, wie oft Genderthemen in diesem Blog auftauchen. Gut, ich könnte das gegenwärtige tumbe Aufrüsten und gegenseitige Provozieren zwischen NATO und Russland thematisieren - aber das hätte den Effekt von Trockenschwimmen.

Bei Genderthemen jedoch sind wir alle direkt betroffen und können auch alle direkt Einfluss nehmen. Wenn wir nur ein bisschen aufpassen würden.

Als Beispiel: die Sendung Gibt es Geschlechter - und wenn ja, wie viele? von Silvia Pahl, heute ausgestrahlt von meinem Haus- und Hofsender SWR2.

Ich bin grundsätzlich ein Befürworter neuer Wissenschaftszweige: sie können Wissen besser systematisieren und vertiefen. Die Spaltung von Mathematik und Informatik war mindestens bis in die 2000er Jahre ein großer Vorteil.

Bei den Genderwissenschaften komme ich zum entgegengesetzten Urteil, und das lässt sich an der genannten Sendung gut verdeutlichen. Hier drei Aufhänger.

Die Hälfte der Sendung müht sich ab, das soziale Geschlecht und seine Besonderheiten zu erklären. Dies ist ein nicht nur durch Chromosomen und Hormone, sondern auch "kulturell und gesellschaftlich beeinflusste[s] ... Sein", mit dessen Hilfe dann Rollen- und Platzzuweisungen in der Gesellschaft vorgenommen werden. Damit stimme ich überein: Kategorisierung anhand leicht erkennbarer Merkmale ist ein uraltes Mittel, um der Komplexität und Unberechenbarkeit unserer Umwelt Herr zu werden.

Die Genderwissenschaften stören sich aus irgendeinem Grund an Kategorisierung, wenn sie sich aufs Geschlecht bezieht. "Typisch männlich" oder "typisch weiblich" soll einem geschlechtsneutralen Blick weichen. Begründet wird das meist damit, dass das sozial zugeschriebene Geschlecht mit dem selbst zugeschriebenen manchmal auseinanderfällt oder dieses gar nicht abbilden kann.

Zum Beispiel würde man bei einer als "Mann" bezeichneten Person annehmen, dass er Frauen sexuell anziehend findet. Er könnte aber homosexuell sein oder sich selbst als Frau oder etwas zwischen Mann und Frau oder wechselnd als Mann oder Frau oder keins von beidem empfinden - die soziale Ecke, in die man das arme Geschöpf mit der Bezeichnung "Mann" stellt, mag also völlig unpassend sein.

Und dann kommt der erste Brüller: "Stattdessen nutzen die Fachbereiche bereits die Ergebnisse der Genderforschungen. Wenn es etwa darum geht, mehr Männer für soziale und pädagogische Berufe, mehr Frauen für technische Berufe zu interessieren."

Die Arbeitshypothese ist plötzlich, dass es (1) "Männer" und "Frauen" (als Gender!) gibt, und (2) dass sich soziale Männer von selbst nicht für soziale und pädagogische Berufe interessieren und soziale Frauen nicht für technische?! Und das, nachdem gerade ausgewalzt wurde, dass (1) aufgrund der Vielzahl der selbstzugeschriebenen Geschlechter eine Kategorisierung unmöglich und (2) eine Zuschreibung von Eigenschaften zu diesen Kategorien völlig verkehrt ist?

Es ist keine Wissenschaft, wenn es erst Annahmen postuliert und dann mit gegenteiligen Annahmen arbeitet!

Der Brüller geht noch weiter. Das komplette Zitat lautete: "Stattdessen nutzen die Fachbereiche bereits die Ergebnisse der Genderforschungen. Wenn es etwa darum geht, mehr Männer für soziale und pädagogische Berufe, mehr Frauen für technische Berufe zu interessieren. Oder auch ganz allgemein die hohen Hürden für mehr Fachkräfte in Naturwissenschaft und Technik etwas abzubauen."

Wenn es ein Ziel der Genderforschungen ist, "Hürden für ... Fachkräfte ... abzubauen", dann fordere ich hiermit, sie als Scharlatanerie zu brandmarken. Unser Fortschritt und Überleben hängt davon ab, immer mehr Wissen zu sammeln; d.h. dass die Hürden, ein Wissensgebiet zu beherrschen, ständig steigen müssen. "Hürden abbauen" bedeutet, Wissen und Spezialisierung lächerlich zu machen und nicht Fachkräfte, sondern Idioten zu schaffen, die viel von sich halten und nichts können. Das ist eine gesellschaftliche Horrorvision.

Und bitte, erklären Sie mir, warum "die Hürden für Fachkräfte in Naturwissenschaft und Technik" gerade dann abgebaut werden müssen, wenn "mehr Frauen für technische Berufe zu interessieren" sind.

Ebenso, wie sich die Astronomie von der Astrologie und die Chemie von der Alchimie trennen konnte, muss sich eine Geschlechtsforschung von der Genderforschung emanzipieren. Der Beitrag nennt sogar ein Beispiel: "In der Kardiologie wie in der Arbeitsmedizin oder der Neurologie lernen die Studierenden später, wie verschieden sich eine Erkrankung bei Frauen und Männern zeigt und wie unterschiedlich sie therapiert werden muss."

Hoppla, da haben wir wieder Männer und Frauen und einen Unterschied zwischen beiden. Und wie ist es bei Homosexuellen? Genderfluids? Asexuellen? Lächerlich, oder? Genau: Dieses Beispiel hat mit dem sozialen Geschlecht eben überhaupt nichts zu tun. Solche Ergebnisse der Genderforschung zuzuschreiben, die sich dem sozialen Geschlecht und also etwas völlig anderem widmet, ist einfach nur unredlich. Ich halte diese Vermengung an sinnvoller Forschung am biologischen Geschlecht und sinnloser Forschung am sozialen Geschlecht für einen gewollten Betrug.

Es gäbe so viele Themen, mit der sich die Genderforschung beschäftigen könnte. Z.B. könnte sie gegen die Auffassung ankämpfen, dass Frauen irgendwie die besseren Menschen seien, weswegen sie in Flugzeugen neben Kindern sitzen dürfen, während mir lediglich aufgrund meines Penis einfach so die soziale Rolle eines Mannes, ach was, eines perversen Kinderbelästigers zugeschrieben wird.

Schlagwort: Verrückte Normalo-Welt

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