Dienstag, 27. Juli 2021

War der Holocaust ein Femizid?

Auf faz.net beschwert sich Ronya Othmann über das Versagen der Weltgemeinschaft beim Überfall des IS auf die Eziden (hier als Jesiden bekannt).

Ich versuche, mich in ihre Wut hineinzuversetzen. Als Deutscher mag einem das auf dem Umweg gelingen, sich die Lage der Juden im Dritten Reich zu vergegenwärtigen. Nach und nach waren sie von allem verraten worden, worauf sich jeder Mensch verlassen möchte - vom Recht, von der Gerechtigkeit, von der Nachbarschaftlichkeit, schließlich von der Humanität, gar von ihrer Gottesvorstellung.

Das sollte nie geschehen. Ist es aber. Vielleicht könnten wir daraus lernen?

Aus der Kolumne von Ronya Othmann kann man nichts lernen. Der Anreißer lautet: "IS-Kämpfer ... töten die Männer, vergewaltigen die Frauen systematisch. Warum ist dieser Genozid, der ein Femizid war, nicht fest im öffentlichen Bewusstsein verankert?"

Nun, ich finde es gar erfreulich, wenn sich keine Unwahrheiten im öffentlichen Bewusstsein verankern. Wenn vor allem Männer getötet werden, ist das kein Femizid, Frau Othmann. Unter keinen Umständen.

Bei der offensichtlichen Provokation, nicht nur den Androzid unsichtbar zu machen, sondern einen nicht stattgefundenen Femizid herbeizuphantasieren, muss man sich fragen: warum tut sie das?

Es liegt doch nicht daran, dass die Wikipedia zwar einen Artikel zu Femizid, aber keinen zu Androzid hat? Nein, das tut Ronya Othman nicht genug. Also gehe ich davon aus, dass die Autorin auf der Welle der aktuellen Wahrnehmung des Frauenopfertums mitreitet und die Eziden hinten dranhängt, um überhaupt Aufmerksamkeit für das Thema zu bekommen. Schließlich ist deren Leid auch der FAZ wieder nur eine Kolumne wert und keinen Leitartikel.

Geschenkt. Klappern gehört zum Handwerk. Aber der Leser ist nun aufmerksam geworden, denn ein Bockshorn kommt selten allein.

Und so versucht die Autorin im Anschluss unterschwellig zu vermitteln, warum der (echte) Androzid zu vernachlässigen ist, während der (ausgedachte) Femizid Eingreifen erfordert. Sie tut das, indem sie den IS-Kämpfern Kalkül zuschreibt. "Durch eine Heirat (freiwillig oder nicht) mit einem Nicht-Ezîden wird die Frau aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Ihre Kinder sind nicht mehr ezîdisch ... [sondern] nach dem im Irak und in Syrien geltenden islamsichen Recht Muslime."

Und?

Ich habe diese Stelle mehrfach gelesen und verstehe das Problem nicht.

Stellen Sie sich vor: Eine Deutsche heiratet einen Ausländer, oder sie wird gar von einem vergewaltigt - und nach deutschem Recht wäre sie dann keine Deutsche mehr. Abstrus? Ja. Seit wann also ist es Teil einer schützenswerten Kultur, jemanden wegen einer Ehe, noch dazu einer erzwungenen, aus der Gemeinschaft auszuschließen? Sollten wir den Eziden nicht lieber dabei helfen, ihren Rassismus zu überwinden?

Ach so, die Autorin schreibt, diese Regel sei aufgegeben worden. Ich bin jetzt noch ratloser. Stellen Sie sich erneut vor, Frau Othman schriebe in einem Artikel über Deutschland, dass Frauen hier nicht wählen dürften. Aber diese Regel sei 1918 aufgehoben worden. Wieder so ein Bockshorn, nicht?

Hier manifestiert sich jedoch nicht nur - unwidersprochen von der Autorin - der Rassismus, sondern auch die Misogynie der Eziden. Ronya Othmann macht sich offensichtlich auch die Ansicht zu eigen, eine versklavte und vergewaltigte Frau - unschuldig an beiden Leiden - verliere automatisch ihre Identität. Für mich wäre eine vergewaltigte Frau eine Frau, und eine vergewaltigte Ezidin eine Ezidin, aber die Autorin sieht in ihr nur noch eine Vergewaltigte. Welch ein grauenhaftes Weltbild.

Geht aber noch weiter. Ich habe den Satz ja nicht zu Ende zitiert.

Ronya Othmann moniert, dass die Kinder "nach dem im Irak und in Syrien geltenden islamischen Recht Muslime sind. Und die Väter, also IS-Täter, das Sorgerecht haben."

Ja, Väter mit Sorgerecht sind natürlich ... was, ein Problem? So langsam beschleicht mich das Gefühl zu wissen, warum der Autorin auch die ermordeten Männer und die zu Kindersoldaten missbrauchten ezidischen Jungen keine weitere Erwähnung wert sind. Mit denen hat eh keiner Mitleid.

Doch wenn die islamische Rechtsordnung das Problem ist, nach der ein Kind eines Muslims immer Muslim ist - warum benennt das die Autorin nicht als Problem, sondern als ein hinzunehmendes Corollar?

Wenn man genau hinsieht, kommt man an dieser Stelle an den Kern des Problems, den die Autorin zu umgehen versucht wie die Evergiven das Kap der Guten Hoffnung.

Der ganze Artikel ist als Anklage an die Deutschen, die Europäer, die Welt gehalten: aber die Täter sind nicht die Deutschen, die Europäer oder die Welt. Es sind Täter des Islamischen Staates, inspiriert durch Islamismus, getrieben von Fanatismus, gedeckt durch das Islamische Recht.

Aber Ronya Othmann behauptet, Islamisten vergewaltigten ezidische Frauen aus Misogynie, und die Deutschen seien schuld.

Was für eine Nebelkerze.

Schlagwort: Fadenschein

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