Da gibt es also in Deutschland Demonstrationen gegen Rassismus, und ich frage mich: wieso? und: wieso jetzt?
Ist da was passiert in Deutschland, irgendwann Anfang Juni, dass es uns allen wie Schuppen von den Augen gefallen ist und wir erkannt haben: huch, unsere Regierung ist ja rassistisch, und da wir die Rassisten in Berlin erst im ... blätter ... nächsten Jahr alle abwählen können, muss das Volk als Träger der Demokratie eben auf die Straße?
Ja? War das so?
Nein, es war nicht so.
In den USA haben Polizisten womöglich (das ist noch nicht gerichtlich festgestellt) den Tod eines sich widersetzenden Verdächtigen zu verantworten.
Die Kausalkette, die dann dazu führt, Denkmäler zu stürzen und Läden zu plündern, erschließt sich mir nicht, aber vielleicht ist das ja eine amerikanische Sache.
Mit Deutschland allerdings hat das erst mal gar nichts zu tun.
Warum also die Demos?
Es gibt zwei Alternativen:
Erstens: wir haben gerade ein durch Corona erweitertes Sommerloch, und weder die Aktivisten noch die Presse haben wirklich was zu tun.
Und sie nehmen eben, was kommt.
Das ist die wohlwollendste Möglichkeit, die mir einfällt, auch wenn sie wenig schmeichelhaft ist.
Denn es bedeutet nichts anderes, als dass Aktivisten und Presse einfach Trittbrettfahrer sind.
Trittbrettfahrer sind eine ziemliche Furunkel der Gesellschaft. Sie verfolgen ihr eigenes Ziel und bürden die Kosten dafür den anderen auf, die sich ehrlich verhalten.
Das heißt, den Aktivisten geht es eigentlich um Krawall (und in Deutschland um Fördermittel für Projekte). Der Presse geht es um Geld.
So schnöde ist das.
Eine demokratische Legitimation lässt sich dafür nicht ausmachen.
Und wenn einer der Trittbrettfahre sie für sich reklamiert, bleibt nur, sie dafür auszulachen.
(Das war jetzt fast ein Reim).
Aber zweitens! Zweitens könnte es sein: wir haben hier wirklich instututionalisierten Rassismus. Dann frage ich mich, was die ganzen Trantuten von Aktivisten und Presse denn so bisher getan haben.
Wo waren die Leitartikel gegen Rassismus im Januar? Ach richtig, da wurde gegen australische Waldbrände demonstriert.
Wo waren die Leitartikel gegen Rassismus im Februar? Ach richtig, da wurde gegen den dritten Weltkrieg demonstriert.
Wo waren die Leitartikel gegen Rassismus im März? Ach richtig, da wurde gegen Corona demonstriert.
Wo warem die Leitartikel gegen Rassismus im April? Ach richtig, da saßen wir alle zuhause.
Wo waren die Leitartikel gegen Rassismus im Mai? Ach richtig, da wurde gegen die Coronamaßnahmen (also praktisch FÜR Corona) demonstriert.
Wer anfängt, sich für ein Thema zu engagieren, weil es in Amerika jemand vorturnt, dann ist das milde gesagt eine Bankrotterklärung für seinen Geist.
Wer selbst denken kann (oder wie die Presse gar ein Kontrollorgan für die Demokratie zu sein beansprucht), der muss schon selbst auf die richtigen Schlüsse kommen und Themen setzen, anstatt ihnen hinterherzurennen.
Alternative eins oder zwei? Keine Ahnung. Beide sind erbärmlich.
Wenn also amerikanische Medien den Wind vorgeben, der auch durch Deutschland weht, dann können deutsche Aktivisten natürlich ihr Segel darein hängen und ihr Boot auf Kurs bringen. Darüber, ob dieser Kurs ein berechtigtes Ziel hat, sagt das rein gar nichts aus.
Ich finde, man sollte lieber darüber nachdenken, ob bzw. inwiefern die deutschen Proteste berechtigt sind. Der aus USA übernommene Anlass tut da meines Erachtens gar nichts zur Sache.
(Ich erinnere mich gut an DDR-Zeiten, als Kritik am Staat - nicht ganz unberechtigt - immer damit abgetan wurde, dass die Kritiker doch Unterstützung "aus dem Westen" bekommen würden. Allein aus dem Umstand nahm sich die Staatsführung dann heraus, über den Inhalt der Kritik gar nicht mehr zu diskutieren.)
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Und für mich sind die Demos-deren-Anlass-uns-gar-nichts-angeht genauso glaubwürdig wie die "Demos" in der DDR. Also zumindest die zwischen 1953 und 1989.
Mann, was waren wir solidarisch mit den Kindern in Nikaragua. Nur, dass es dabei eben nicht um Kinder in Nikaragua ging, sondern um ganz andere Ziele.
Schon die Frage - gibt es in Deutschland Rassismus? - zu stellen ist überflüssig. Finde einen Rassisten in Deutschland, dann gibt es auch Rassismus. Die Frage müsste heißen: gibt es traditionellen oder intitutionalisierten Rassismus?
Und bei dieser Frage hilft die Situation in den USA überhaupt nicht. Keine PoC lebt hier, weil man ihre Vorfahren hierher verschleppt hat. Es gab hier keine Sklaverei. Es wurde kein Bürgerkrieg darum geführt. Niemand hier hat bis vor 56 Jahren unter der Segregation gelitten. Wir haben eine andere Polizeiausbildung. Eine andere Schulbildung. Kostenlose Unis. Andere Waffengesetze. Keine gewählten Richter und Polizisten.
Sowohl die rassistischen Traditionen als Institutionen müssen also woanders zu suchen sein.
Eine davon hatten wir 2015 vor unserer Nase. Als es offiziell hieß, die eintreffenden Flüchtlinge seien oft Ärzte und Ingenieure und wir bräuchten die für unsere Volkswirtsschaft, konnte ich das kaum glauben.
Das wäre unverhohlener neuzeitlicher Kolonialismus, der eben statt der Bodenschätze nun Menschen, "Human Resources", aus der 3. Welt abzapft - basierend auf einem ebenso unverhohlenen Rassismus: nämlich zu glauben, dass unsere Nation es eher wert sei, die Früchte der Arbeit dieser Ärtze und Ingenieure zu genießen, als andere Nationen.
Es war in sich eine Lüge, klar, aber schon der öffentlich geäußerte Gedankengang hätte doch thematisiert werden müssen.
Wurden sie aber nicht.
Was bleibt: die Demos heute sind Krawallmache oder Selbstbeweihräucherung.
Und wenn es uns um Recht und Gerechtigkeit in der ganzen Welt geht: nun, in Hong Kong gibt es Demos, die uns inspirieren könnten. Russland (und Exsowjetstaaten) sind schon weiter, da gibt es fast keine Demos mehr, das könnten wir doch übernehmen. Die Lage der Menschenrechte in Qatar sind auch ein offenes Geheimnis.
Das wäre Stoff für Demonstrationen um die wirtschaftliche Abhängigkeit von China, um die Freiheit von politischer Opposition und Freiheit abweichender Meinungen, um das Primat der Wirtschaft vor Menschenrechten. Diese Dinge betreffen uns.
Sie betreffen uns mehr, als der Tod eines Schwarzen durch einen Weißen, was für sich schon eine unzulässige Extrapolation für die Tötung eines (Ex-?)Kriminellen durch einen Polizisten darstellen könnte.
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Natürlich ist der Rassismus in Deutschland ein völlig anderer als in den USA. Ich hab ja nur gesagt, dass es berechtigt ist, einen Anlass aus dieser völlig anderen Situation in den USA zu nutzen, um auf anders geartete Probleme in Deutschland (die aber auch mit Rassismus zu tun haben) aufmerksam zu machen. (Haben Sie schon mal von Oury Jalloh gehört?)
Was übrigens nicht stimmt, ist, dass es in der Flüchtlingskrise 2015 eine offizielle Haltung gegeben hätte, die niemand thematisiert oder gar kritisiert hätte. Das Thema wird seit Jahren (nicht erst seit 2015) aus verschiedensten politischen Blickwinkeln hoch und runter diskutiert, die Entscheidung der Bundesregierung von 2015 ebenso.
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Ich finds ja schon erfrischend, dass wir zwei uns gegenseitig zubilligen können, Dinge verschieden zu sehen.
Nun aber die Replik: "Haben Sie schon mal von " ... dem Achtjährigen gehört, der in Frankfurt zusammen mit seiner Mutter von einem Eritreer vor den Zug gestoßen wurde? Und dessen Namen wir nicht mal erfahren durften?
Ich vermisse die frontal21-Sendungen zur Frage, ob die Afrikaner rassistisch sind, und auch die White-Boys'-Lifes-Matter-Demos dazu, besonders die in den USA.
... Nein, tue ich natürlich nicht. Weil ich es nicht für selbstverständlich halte, dass ein Totschlag in Übersee eine öffentliche Rassismusdebatte anfacht. Da steckt mehr dahinter.
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