Montag, 10. Februar 2020

Opposition und der Osten

Der Westen Deutschlands hat zwei entscheidende Nachteile, was die Feinfühligkeit für politische Schieflagen angeht:

Es gab im Westen keine sozialistische Diktatur.

Natürlich hatte der Westen Angst vor den Kommunisten, schließlich stand die Sowjetunion 40 Jahre lang Gewehr bei Fuß vor der Ostgrenze der BRD, und die RAF rüttelte gehörig an den schon gefestigt geglaubten Grundlagen der westdeutschen Republik.

Trotzdem blieb es im Westen immer bei der Angst. Zur Erfahrung kam es nicht.

Welche irrationalen Auswirkungen das hat, sieht man bis heute an der Außenpolitik mit Russland, welches mit der Sowjetunion soviel gemein hat wie die Sowjetunion mit dem russischen Kaiserreich.

Angst lähmt: lähmt die wirtschaftliche und politische Handlungsbereitschaft, und beides kann man in den letzten 7 Jahren am lebenden Beispiel betrachten. Doch ich schweife ab.

Der letzte Bruch der Bevölkerung mit seinem politischen System liegt zu lang zurück.

Wobei ich mir nicht mal sicher bin, ob 75 Jahre da überhaupt ausreichen. Es werden wohl eher 87 Jahre sein.

Den Ossis dagegen sitzt einerseits der Sozialismus noch in den Knochen: sie wissen, was sie durch den Wechsel von Diktatur zur Demokratie gewonnen haben.

Sie wissen andererseits auch, dass es bei Übergängen auch Verluste gibt und auch die Demokratie nicht kostenlos zu haben ist.

Als Reaktion auf die vermurkste Ablösung der nationalsozialistischen Diktatur mit ihrem Ein-Parteien-System durch die realsozialistische Diktatur mit ihrem Einheitsfrontsystem haben sich die Thüringer 1993 eine Verfassung gegeben, die eine Wiederholung der Misstände der letzten 60 Jahre verhindern sollte.

So steht im Art. 59 Abs. 1: "Parlamentarische Opposition ist ein grundlegender Bestandteil der parlamentarischen Demokratie."

Nach mehr als 40 Jahren Sozialistischer Einheitspartei sollte nie wieder eine (sozialistische) Partei allein das Parlament beherrschen.

Denn auch der beste Politikentwurf überaltert und wird faul, wenn er nicht ständig von einem Kontrahenten zur Rechtfertigung gezwungen wird.

Frage: Welche Kontrahenten stellten sich die Thüringer nach 40 Jahren SED eigentlich vor? Sozialdemokraten? Konservative? Nationalisten?

Die Verfassung schweigt dazu weise, weil es nämlich völlig egal ist, welcher Strömung die Regierung und welcher die Opposition angehört. Die starke Stellung der Opposition würde nicht zu jedem Zeitpunkt, aber über die Zeitdauer gesehen im Mittel immer einen Ausgleich ermöglichen oder gar zu ihm beitragen.

Insbesondere wäre völlig klar, dass eine linke Regierung einer starken Mitte-rechts Opposition bedarf, eine Regierung der Mitte einer starken Opposition von den politischen Rändern, und eine rechte Regierung natürlich einer starken Mitte-links-Opposition.

Jeder kann sich jetzt selbst ausrechnen, was es bedeutet, wenn eine politische Strömung die Opposition oder Teile davon als überflüssig, gar gefährlich bezeichnet:

Bei Regierungsparteien bedeutet das die Abgehobenheit, eigene politischen Ansichten als einzig vertretbar anzusehen, dadurch lernunwillig und handlungsunfähig zu werden, während sich der Ewigkeitsanspruch auf die eigene Ermächtigung zu politscher Korruption führt.

Oder anders ausgedrückt, "Opposition ist falsch und daher nicht nur überflüssig, sondern gefährlich, weil ja wir schon alles richtig machen."

Bei Oppositionsparteien bedeutet das die Selbstlähmung wegen Verweigerung der Zusammenarbeit mit anderen Oppositionsparteien aus sogenannt "grundsätzlichen" Überlegungen, die regelmäßig nicht nur der Lösung von Sachfragen im Weg stehen (wozu Politik ja eigentlich da ist), sondern auch die Kontrolle der Regierung erschwert.

Oder anders ausgedrückt, "Wenn wir schon nicht regieren können, dann müssen wir wenigstens die anderen hindern, politischen Einfluss zu nehmen".

Es fällt nun überhaupt nicht schwer, das Gebaren verschiedener Politiker unter die oberen beiden Strömungen zu subsumieren.

Die beide ausdrücklich verfassungswidrig sind.

Nun folgt ein Lieblingssatz von mir:

"Wer anfängt zu lügen, wird nie mehr damit fertig".

So muss die Vorsitzende der Linken in Thüringen, die eben noch die formal einwandfreie Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten aus der FDP mit (auch) den Stimmen der AfD als Skandal bezeichnet hat, verlautbaren, bei einer Wahl des Ministerpräsidenten aus ihrer eigenen Partei mit (auch) den Stimmen der AfD müssten diese Stimmen einfach egal sein. Wann sind sie es nun, wann nicht?

Oder so muss der Ostbeauftragte (ä-hem) wegen eines formalen Glückwunschs an einen demokratisch gewählten Ministerpräsidenten eines ostdeutschen Bundeslands (ä-hem) zurücktreten. Der Bundesaußenminister (immerhin), der aber völlig unnötigerweise eine wiederholte Glückwunschnote zum Jahrestag der islamischen Revolution (immerhin) im Iran formuliert und dann seinen Laden sowenig im Griff hat, dass er sie nicht mal mehr abfangen kann, als sich das politische Windchen dreht (als ob es das besser machte) - nicht.

Die Wessis mögen solche Spielchen lange genug mitgemacht haben, um davon die Demokratie nicht untergehen zu sehen.

Die Ossis dagegen haben ihr System, das Alternativen nicht zuließ, das ständig beim Heucheln erwischt wurde und das für alles mindestens zwei Maßstäbe hatte, gerade nach viel Hin und Her und unter Opfern wie Gewinnen abgeschüttelt.

Sie wollen das nicht nochmal.

Sie haben der Thüringer Regierung (egal, wer es werden würde) eine starke Opposition gewählt, damit das nicht noch mal passiert.

Was so ein Ossi wohl fühlt, wenn er liest, dass ein (anderer) Ministerpräsident nur kandidieren würde, wenn vorher klar wäre, dass ihn die Mehrheit wählt?

Es fühlt sich an, als ob die letzten 30 Jahre völlig für die Katze gewesen sind.

Als ob die Alternative, die zum Sozialismus zur Verfügung stand, sich als auch nicht besser als der Sozialismus erweist.

Ich mag an dieser Stelle nicht weiterdenken. Ich muss auch nicht. Aber andere sollten das sehr wohl tun.

Schlagwort: Grundlegendes

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