Am besten klappt noch die Anamnese:
- Autisten mögen keine Berührung, die sie nicht selbst kontrollieren können
- Sie können sich nicht in die Gedankenwelt ihres Gegenübers einfühlen, ja nicht mal eindenken
- Sie verstehen nicht, warum Menschen Dinge sagen, die sie gar nicht meinen
Die These aber, die für so selbstverständlich gehalten wird, dass sie nicht mal ausdrücklich formuliert wird, heißt: das muss alles wegtherapiert werden. Weil, sonst kommen sie in der Welt der Normalos nicht klar.
Es ist noch nicht lange her, da hat man dasselbe von Linkshändern geglaubt. Unzweifelhaft ist die Welt auf Rechtshänder ausgerichtet, unzweifelhaft sind sie in der Mehrheit und definieren damit die „Normalität“. Und dennoch – irgendwann haben selbst die Rechtshänder gemerkt, dass es eine Gemeinheit ist, Linkshänder umzutrainieren. Wöllte man, dass alle dieselbe Hand gebrauchen, könnte man auch die Rechtshänder alle zur Linkshändigkeit zwingen, denn per se ist keine der beiden Händigkeiten besser als die andere, und für den einzelnen Umerzogenen ist die Tragik dieselbe. Es wird von ihm etwas verlangt, (1) was er nicht können kann, (2) nur weil es die anderen können – nicht etwa, weil es nötig wäre.
Nun nochmal zu den drei oben genannten Punkten.
Ich halte das für eine seelische Grausamkeit dem Kind gegenüber. Sagen Sie einem Kind, es soll doch mal umherfliegen, und zeigen Sie ihm, mit welcher Leichtigkeit selbst die Spatzen das tun können – dann haben Sie eine Vorstellung davon, wie es auf einen Autisten wirkt, wenn man von ihm verlangt, fremde Gefühle zu erkennen. Ich kann mich selbst noch an diese Ohnmacht erinnern, wenn ich solche Rätsel lösen sollte. An Gesichtern Gemütsbewegungen abzulesen ist etwas, das ich nicht kann, und bei allem Willen auch nicht erlernen kann. Ein Gesicht sagt mir nicht mehr als eine Betonwand, und selbst, wenn ich bei einem Gesicht lernen würde, wann es ein Gefühl ausdrückt – ich würde es beim nächsten Gesicht nicht wiedererkennen.
Wenn die Normalos also schon wissen, dass Autisten keine Gefühle erkennen können: warum quälen sie die Kinder dann damit, es doch zu tun? Und – welchen höheren Nutzen hat es? Dem Autisten fehlt nämlich überhaupt gar nichts, wenn er Ihre Gefühle nicht von Ihrem Gesicht ablesen kann: er vertraut seinen eigenen nicht, und er interessiert sich nicht für Ihre. Der in seinem Narzissmus gekränkte Normalo aber mag seine Gefühle nicht ignoriert wissen. Eigentlich ist er es, der mit dem Autisten nicht klarkommt und therapiert werden müsste - nicht umgekehrt.
Je, nun… Was ist falsch daran, Wörtliches wörtlich zu nehmen? Rein objektiv betrachtet: Zu sagen, man sei in 5 Minuten da, wenn man es weder kann noch es vorhat, ist sowohl Betrug als auch Hochstapelei. Es ist ja nicht so, als ließe sich das nicht auch anders ausdrücken: „Ich versuche, in etwa 5 Minuten wieder da zu sein, aber vielleicht wird es eher oder später“ wäre nicht nur möglich, sondern auch ehrlich und wirklichkeitstreu.
Aber wie selbstverständlich muss das autistische Kind lernen, mit den vorsätzlich ungenauen und unzutreffenden Aussagen der Umgebung klarzukommen. Normalos fassen sich nicht mal an die eigene Nase und überlegen, warum sie Dinge sagen, die sie nicht so meinen.
Aber vielleicht – vielleicht – wird der Autist irgendwann auch mal wie ein Linkshänder betrachtet: anders als die Mehrheit, mit einem völlig andersgearteten Satz an Fähigkeiten, den man aber so akzeptieren kann und nicht umerziehen muss.
Deinen Text könnten sich einige Therapeuten und natürlich auch alle anderen Menschen mal durchlesen, um das mit dem Autismus besser zu verstehen.
Das Beispiel mit den Linkshändern ist sehr passend gewählt finde ich.
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Bis dahin, oder wenn dieser Wandel ausbleibt, haben die Therapien eh kaum einen Nutzen - außer womöglich für die Umwelt, die es dann etwas ruhiger hat.
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Ich finde es auch blöd, wenn Leute Dinge sagen, die sie nicht meinen. Man kann doch stattdessen die Klappe halten. Aber das ist nicht die gleiche Situation, wie das 5-Minuten-Beispiel, das man ja noch relativ einfach umgehen kann. Bei Redewendungen ist das schon etwas schwieriger.
Mehr Toleranz ist auf jeden Fall sehr wünschenswert.
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Das Gehirn funktioniert hier, meiner Meinung nach, einfach verschieden.
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