Kennen Sie Paul Watzlawick? Ein wichtiger Forscher des vorigen Jahrhunderts über Kommunikation, der auch für Fachfremde lesbare Bücher geschrieben hat. Sein Postulat "Man kann nicht nicht kommunizieren" ist schon fast ein Allgemeinplatz, und er reicht aus, um den Wert seiner Forschung zu demonstrieren: Das Bewusstsein über Kommunikation kann helfen, diese zu verbessern, und ihr Ziel zu erreichen.
So soll ein Hilferuf Hilfe herbeirufen. Eine Zeitung soll Fakten, Bewertungen und Meinungen transportieren.
Einen Hilferufer, der sich in einem Sonett an Sie wendet, werden Sie automatisch für einen Scherzkeks halten und sich nach der Verstehen-Sie-Spaß-Kamera umblicken. Das ist dann nicht mehr lustig, wenn Sie eines Scherzes wegen selbst Nachteile haben - sagen wir, Ihren Zug verpassen - weil jemand ihre Menschenfreundlichkeit sinnloserweise ausgenutzt hat.
Oder nehmen Sie einen Zeitungsartikel, der in jedem Wort absichtlich die Buchstaben vertauscht. Das ist cool als Satire oder wenn Sie gerade ein Kunstobjekt suchen, dass Sie sich eingerahmt ins Klo hängen können. Wenn dieser Artikel aber für Sie wichtige Informationen enthält, die Sie ohne Not nur verschleiert oder zweideutig erhalten, sind Sie zu Recht sauer über die unnütze Anstrengung, die er Ihnen abverlangt.
Was ich sagen will: Kommunikation hat in 99,9% aller Fälle den Zweck, Nachrichten möglichst fehlerfrei vom Sender zum Empfänger zu transportieren, und die Metakommunikation hat den Zweck, die korrekte Interpretation des Empfangenen zu sichern. Die willentliche Missachtung eines dieser Zwecke mag ihren Platz haben, aber diese Nische dafür ist verdammt eng.
Und nun legt die Professorin Lann Hornscheidt der taz ans Herz, von der kodifizierten deutschen Syntax abzuweichen - "[a]ls kontinuierliche Verunsicherung, Irritation und Aufforderung, über Dinge noch mal anders nachzudenken oder überhaupt neu zu denken".
Watzlawick rotiert gewiss gerade im Grab. Über die Dinge nachzudenken oder sie neu zu denken - dafür ist der Inhalt eines Artikels da, nicht seine Syntax. Das Postulat, ein Unt_erstrich im Wort sei ein ein sinnstiftender Denkanstoß, ist doppelt verwerflich: Es erlaubt dem Autor mit minimalen Mitteln, scheinbar eine Nachricht zu kodieren, die aber für den Empfänger unmöglich eindeutig zu dekodieren ist und daher beliebig und folglich sinnlos ist. Zweitens erlaubt es dem Autor, selbst hinsichtlich sowohl der Aussage als auch der Intention völlig vage zu bleiben und jedem konkreten Diskurs mit der Behauptung aus dem Weg zu gehen, das so ja gar nicht gemeint zu haben.
Das sind die Werkzeuge eines Komikers oder Satirikers, aber nicht eines Wissenschaftlers.
Oder welchen Erkenntnisgewinn hatten Sie aus dem Unterstrich in "Unt_erstrich"? Wollte der Autor auf die Lautgleichheit von "Unt" mit "und" hinweisen? Wollte der Autor die Anwesenheit der Silbe "er" herausstellen und wegen der syntaktischen Gleichheit mit dem Personalpronomen Betroffenheit über diesen versteckten Sieg des Patriarchats hinweisen? Und wenn ja, wozu das ganze, und wieso konnte der Autor das nicht auch so aufschreiben?
Der einzige Erkenntnisgewinn, den Sie aus "Unt_erstrich" haben, kommt aus der Metakommunikation: "Unt_erstrich" macht Ihnen klar, dass der Autor nicht mit effizienten Mitteln zu kommunizieren bereit ist, dass er Sie verunsichern statt erleuchten und irritieren statt bilden möchte. Sie erkennen, dass der Autor Ihren Lesefluss stören und Ihren Verstehensprozess torpedieren möchte, dass er ein Effekthascher ist ohne die Fähigkeit, Inhalte zu formulieren, die bei Ihnen einen konkreten Denkprozess in Gang setzen und lenken würden, oder, genauso schlimm, ohne den Wunsch, sich dafür in die Verantwortung ziehen zu lassen.
Diesen Autor träfe mit Recht Ihre volle Verachtung. Aber was ist von einer Wissenschaftlerin zu halten, die solche Vorschläge macht? Die Wissen verschleiert sehen möchte, indem sie es unter absolutem Informationsverlust in einen Unterstrich codiert? Und die mich, den Leser, missbraucht, in dem sie den Erkenntnisprozess an mich auslagern möchte, anstatt sich selbst die Gedanken zu machen, für die sie bezahlt wird?
Ganz abgesehen von dem dadaistischen Quatsch, durch einen Unterstrich in "Journa_listinnen" seien "sowohl Frauen direkt anwesender als auch Menschen, die sich in der Zweigeschlechtlichkeit nicht verordnen [sic!]". Wenn diese These einen Hauch von Wissenschaftlichkeit hätte, dann würde bei Ihnen direkt eine Frau anwesend sein, weil sie "Journa_listinnen" lesen statt "Journalistinnen". Schauen Sie sich mal um, ob die Frau erschienen ist ... und gleich daneben noch ein Mensch, der sich weder für sein Frau- noch für sein Mannsein entscheiden kann, denn der soll ja auch direkt anwesend sein, obwohl für ihn doch der Suffix "-innen" ganz klar in seiner Männlichkeit ausschließt (wie übrigens auch alle Männer dieser Zunft, denen derlei Zweifel zu ihrem Glück ganz fremd sind).
Oder ist der Professorin Hornscheidt hier ein Freudscher Fehler unterlaufen, und das hervorheben von "list" mit dem weiblichen Suffix "-innen" soll mich auf die weibliche Eigenart hinweisen, durch unlautere Ausnutzung von Nachteilen des Rezipienten zu einem persönlichen Vorteil zu kommen?
Nein, das war kein Fehler, das war ihre Absicht, und der scheinbare Vorteil, dass ich ihr das nicht objektiv nachweisen kann, ist auch ihr tatsächlicher Nachteil, weil sie es auch nicht leugnen kann.