Montag, 18. Oktober 2010

Donaueschingen, oder: Wider die neue Musik

Die Donaueschinger Musiktage sind vorbei. Zeit, mal etwas über moderne Musik und Kunst im Allgemeinen zu sagen.

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Zunächst muss ich mich offenbaren. Ich liebe klassische Musik, besonders aus der romantischen Klassik. Das heißt, mit Chopin und Schubert, mit Beethoven und Rachmaninoff, mit Verdi und Donizetti, Rossini und Bellini können Sie mich ziemlich schnell hinter dem Ofen vorholen. Bruckners siebte Symphonie. Tschaikovskys Sechste. Beethovens Dritte. Schumanns Klavierkonzert, oder Chopins Erstes, oder Brahms' Zweites. Bruchs erstes Violinkonzert. Das Finale von Bellinis „Norma“. Der dritte Akt von Cherubinis „Medea“ (oder Verdis „Traviata“ oder Bellinis „Sonnambula“)...

Entschuldigen Sie, ich bin gerade ins Schwärmen gekommen. Aber im Ernst, manchmal bilde ich mir ein, mit dieser Musik (Konserve hin oder her) mein seelisches Gleichgewicht ein bisschen wiederherstellen zu können. Deswegen gebe ich auch Geld aus dafür.

D
Dass ich mit diesem Geschmack recht allein auf weiter Flur stehe, wundert mich nicht und ärgert mich auch nicht. Musik ist eben Geschmackssache.

Und wenn Sie andere Musik brauchen, um sich auf- oder abzuregen, die Langeweile zu verjagen, Ihrer Umwelt ein „lass mich in Ruhe“ zu signalisieren, oder um kreativ zu werden ... warum nicht?!

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Bemerkenswert ist nur eins: Sie hören Ihre Musik immer freiwillig. Freiwillig und gern. Denn sie erfüllt für Sie einen Zweck und hat für Sie einen unmittelbaren Wert.

Jahrtausende war es nicht anders. Die Schamanentänze (wenn es die denn je gab), die Dorfmusik des Mittelalters, die Tänze des Barock, die Unterhaltungsmusik der neueren Zeit sind immer komponiert und aufgeführt worden, weil es eine unmittelbare Nachfrage danach gab.

g
Aber - kein Ding, das sich nicht missbrauchen ließe.

Ich habe den begründeten Verdacht, dass die Auftraggeber Telemanns, Haydns oder Bachs die Musik aus Gründen förderten, die mit dem Gefallen an Musik nicht mehr viel zu tun hatten. Tafelmusik? Da, ich kann ein Orchester beim Essen dudeln lassen. 104 Symphonien? Seht her, ich kann einen ungeheuren Musikauswurf finanzieren. 300 Kantaten? Schaut, wie ernst wir es mit dem Gotteslob halten.

h
Ich würde das „Ersatzgründe“ für Musik nennen.

Dementsprechend ist auch die Musik nicht unbedingt das, wofür ich ein paar Stunden vor der Stereoanlage meditieren würde.

i
Aus demselben Grund finde ich auch die sogenannte „neue Musik“ so völlig überflüssig.

Nicht, dass sie keine Ziele erfüllen würde.

M
Die Generalmusikdirektoren können damit ihre Progressivität unterstreichen, Opernhäuser ihre Weltoffenheit, Konzertgeher ihre Connaissance, Orchester ihre Unvoreingenommenheit ... und nicht zuletzt verdienen ein paar spinnerte Komponisten ihre Brötchen damit. Ist ja auch nichts Neues.

Nur eines tut niemand mit der Musik: niemand würde sie sich freiwillig am Samstag nachmittag in die Stereoanlage legen und sich ein paar Stunden davon berieseln lassen.

n
Warum?

Weil die neue Musik nicht mehr ihren primären Zweck erfüllt - die innere Saite des Menschen anzuschlagen - sondern nur noch Ersatzziele verfolgt.

r
Nur als Beispiel: Jahrhunderte hat man Klaviere und Violinen weiterentwickelt, damit sie beim Anschlag mit dem Hämmerchen bzw. dem Strich über die Saiten den angenehmst-möglichen Klang erzeugen. Parallel dazu hat die Harmonielehre die angenehmsten Kombinationen und Entwicklungen von Klängen herauszufinden gesucht. (Und der gute alte Pythagoras hat die mathematische Grundlage dafür gelegt).

Und daher, liebe Protagonisten der neuen Musik, ist es auch so affig, einen Pfeil aufs Cello zu schießen, Kronkorken zwischen die Flügelsaiten zu stecken, auf den Resonanzkörper der Violine zu trommeln, eine Säge als Instrument zu bezeichnen oder unbedingt alle 12 Töne der Tonleiter zusammenkomponieren zu wollen. Das mag anstrengend sein, aber es ist nicht schön und ignoriert, ja verhöhnt alle bisherigen Anstrengungen, Musik schön zu machen.

s
Habt ihr so wenig neue Ideen, um Instrumente zu erfinden, mit denen ein Künstler Geröusche entwickeln kann, die man gerne hört? Warum kann ich bei jedem Stück neuer Musik vorhersagen, dass es sich um eine chaotische Ansammlung von Extremen handeln wird? Dissonante Tonsprünge, lang anhaltende dünne Töne zwischen verrückter Schrammelei, und die unzusammenhängenden Aufschreie der Vokalisten: wozu?

Wenn jemand dieser ganzen Windbeutel eine neue mathematische Grundlage, Harmonielehre, neue Instrumente und dafür vervollkommnete Spielweisen erfinden würde, für die ich freiwillig am Samstag Nachmittag ein paar Stunden vor der Stereoanlage sitzen möchte ... ja, dann seid ihr Künstler.

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Aber so seid ihr nur lächerliche Schaumschläger. Worüber auch eure wichtigen Mienen nicht hinwegtäuschen können.

Und dasselbe gilt für all die anderen modernen Künstler.



[1] In den Textrahmen stehen die Buchstaben des Wortes „Donaueschinger Musiktage“ in alphabetischer Reihenfolge. Genauso ist neue Musik: anstrengend für Schaffer und Rezipient, und dabei völlig sinnlos. Außer für den Schaffer, der noch eine kluge Fußnote daraus machen konnte.
Schlagwort: Verrückte Normalo-Welt

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