Mittwoch, 24. Juni 2009

Möchtegern-Agamemnon

Ich habe das Mädchen schon als Kleinkind gekannt. Jetzt ist sie 10, und natürlich ging es mir wie Öl herunter, als sie, bei Wahrheit oder Pflicht der Wahrheit verpflichtet, mich als ihren besten Freund bezeichnete.

Das erstaunlich, denn ich habe eigentlich nichts für sie getan. Sicherlich, ich mag Kinder, ich habe eine Eselsgeduld mit ihnen (sagen ihre Eltern), und ich gebe mir Mühe, sie gleichzeitig ernst zu nehmen wie einen Erwachsenen, aber nichts zu erwarten als ein Kind. In meiner Kindheit war das eher umgekehrt, und ich fand das gar nicht lustig... Andererseits muss ich das Mädchen auch nicht erziehen und habe daher vielleicht die besseren Karten bei ihrer Bewertung.

Das Mädchen hat noch zwei ältere Schwestern, Teenager und fast volljährig. Zusammen mit Mama und Papa eine nette Familie, mit der ich seit acht Jahren befreundet bin.

Nervender Vater

Aber etwas wurmt mich. Es ist nicht, dass der Papa seine Töchter liebt und sie knufft und umarmt. Diese Aufmerksamkeit wünsche ich jedem Kind und den Spaß daran jedem Vater. Es sind die untrüglichen Zeichen, dass seine älteren Töchter sich genervt fühlen, und dass er ihre subtile Art, sich ihm zu entziehen, auf unverhohlene Weise missachtet. Sie erstarren, wenn seine Hand auf ihrem Knie liegt. Sie weichen unmerklich aus, wenn er seinen Arm auf ihre Stuhllehne legt, um sie zu berühren.

Nun liegt das sicherlich nicht nur an der Berührung. Die Zehnjährige und ich haben genügend Körperkontakt, wenn wir zusammen turnen oder einfach nur Zeit verbringen. Aber ich suche ihn nicht, sie bekommt ihn einfach, wenn sie ihn möchte. Und in ein paar Jahren wird der emotionale und geistige Kontakt den körperlichen völlig abgelöst haben. Für mich kein Problem. Aber für den Papa? Der stellt sich ziemlich an.

Denn der Papa ist genau das Gegenteil von mir: ein kräftiger und jovialer Mann mit einem AQ im einstelligen Bereich, kumpelhaft und beschlagen in allem Praktischen, aber etwas ... herausgefordert, wenn es um geistigere Tätigkeiten geht. Und damit ist er auch das Gegenteil von seiner Frau. Und von seinen Kindern. Seine Frau ist ein Musterbeispiel als Friedensstifter, daher war er bisher der unangefochtene Herrscher der Familie. Doch das Blatt wendet sich. Die Töchter werden selbständig, und die Eltern machen die Erfahrung, dass ihre Kinder sie an immer weniger Bereichen ihres Lebens teilhaben lassen und sich gegen ihre bisherigen Zuneigungsbekundungen sperren. Ich vermute, dass das Aufdrängen körperlichen Kontakts der letzte Versuch des Papas ist, die alten Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten, weil er sich anstellt, mit seinen Töchtern eine neue, ihrem Alter angemessene Art von Beziehung aufzubauen.

Lieber nicht heiraten

Vielleicht haben sie auch gar kein Interesse daran. Mich würde es eher wundern, wenn sie einen Elektra-Komplex hätten und ihrer Mama die Stellung als Frau ihres Papas neiden würden. Als die Zehnjährige noch sieben war, haben alle geschmunzelt über ihre damalige, scheinbar unreflektierte Entscheidung, nie heiraten zu wollen. Ich fand schon damals, dass es gewaltige Gründe geben muss, wenn sich eine Siebenjährige überhaupt darüber Gedanken macht.

Rechthaberei und Demütigungen Schwächerer mögen für kurze Zeit Vergnügen bereiten, aber sie führen zu keiner dauernden Befriedigung. Die Opfer werden die innere oder äußere Flucht ergreifen, sobald sie die Gelegenheit dazu sehen. Ihre abfällig-höfliche Duldung seines Verhaltens gibt dem Peiniger schon einen Vorgeschmack auf seine Niederlage, während er sich noch durch Necken, Aufdrängen, Ärgern und Anfassen etwas Aufmerksamkeit verschaffen kann.

Ist ein Mensch mit solch einer Persönlichkeit wirklich prädestiniert für die Niederlage, oder kann ihn etwas Selbstbeherrschung noch retten, wenn er sich nicht so anstellt?

Schlagwort: Beziehungen

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