Freitag, 7. Februar 2020

Rede zur Lage der Nation

Liebe Thüringer!

Ihr lebt in einem wunderschönen Land. Glückwunsch.

Außerdem habt ihr - im Gegensatz zu den Deutschen im Allgemeinen - eine Verfassung, die die Stimmberechtigten des Volkes sogar mit absoluter Mehrheit angenommen haben.

Zugegeben, ein wenig drollig ist eure Verfassung schon. Ich zitiere einen Satz mit Verfassungsrang: "Die Neuwahl für die fünfte Wahlperiode findet im Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis 30. September 2009 statt.", Art. 50 (1) S.3. Höchstaktuell und kaum von einem Menschenrecht zu unterscheiden! ;-)

Außerdem haltet Ihr Euch an Eure Verfassung.

Ihr seid eine Demokratie (Art. 44) und keine Diktatur und verwirklicht Euren Willen durch Wahlen (Art. 45) und nicht durch Faustrecht. Bravo!

Obwohl ihr ein wenig nachlässig wart. Eigentlich solltet ihr durch Parlament, Regierung und Rechtsprechung mittelbar handeln können (Art. 45).

Ihr habt euch aber in die Verfassung schreiben lassen, dass ihr nur das Parlament direkt wählen könnt (Art. 48).

Schon die Regierung könnt ihr nicht mal mittelbar wählen. Der Regierungs-Chef ist wählbar, aber das nur vom Parlament, und damit hat es sich dann auch schon (Art. 70).

Es gibt durchaus auch Demokratien, wo das Volk die ausführenden und rechtsprechende Gewalt direkt wählen darf. Ein Beispiel liegt hinter dem großen Teich.

Aber zurück zum Thema. Was passiert ist, ist schnell erzählt:

Ihr habt am 27. Oktober 2019 euren Landtag gewählt.

Verfassungsgemäß.

Der Landtag hat am 5. Februar 2020 im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit einen Ministerpräsidenten gewählt.

Verfassungsgemäß.

Der Ministerpräsident ist von der FDP.

Verfassungsgemäß.

Die Verfassung sagt überhaupt nichts weiter zur Herkunft des Ministerpräsidenten. Es ist völlig egal, wer das ist. Er muss nicht mal ins Parlament gewählt worden sein (und wäre es bei ordentlicher Gewaltenteilung auch nicht).

Hauptsache, die (im dritten Wahlgang einfache) Mehrheit der Abgeordneten stimmt für ihn.

Zum Mitschreiben: ... der Abgeordneten, sprich aller Abgeordneten.

Leider reißen jetzt viele Menschen den Mund auf, die sich um Eure Verfassung nicht kümmern, die bei euch gar nicht wahlberechtigt oder die einfach nur bockig sind.

Zählen wir auf:

"Diese MP-Wahl war ein abgekartetes Spiel und muss korrigiert werden!"
Nicht verfassungsgemäß.

Nein. Demokraten korrigieren keine Wahlen.

Kemmerich hätte nie kandidieren dürfen. Zumindest hätte er die Wahl ablehnen müssen. (paraphrasiert)
Nicht verfassungsgemäß.

Nein. Demokraten verbieten niemandem das passive Wahlrecht, der es von Gesetz wegen hat.

"Damit verlässt die FDP den Konsens der demokratischen Parteien..."
Nicht verfassungsgemäß.

Nein. Parteienkonsens ist kein demokratischer Wert.

"Wer glaubt, dass er sich mit den Stimmen der AfD wählen lassen kann und damit demokratische Legitimation bekommt, wird damit irren."
Nicht verfassungsgemäß.

Nein. Die Demokratie kennt eben gerade nur die Legitimation durch Wählerstimmen. Das Konzept "vergifteter" Stimmen gibt es nicht.

"Das Wahlverhalten im dritten Wahldurchgang geschah gegen den Willen der Bundespartei, das halte ich für falsch."
Nicht verfassungsgemäß.

Nein. Thüringische Abgeordnete sind nur ihrem Gewissen unterworfen, ganz sicher nicht einer Bundespartei (Art. 53).

"Es darf nicht sein, dass die CDU eine gemeinsame Regierung mit einem Ministerpräsidenten bildet, der von der AfD gewählt wurde."
Nicht verfassungsgemäß.

Nein. Die Verfassung enthält keine solche Einschränkung.

Es sei absehbar, dass sich eine Regierung immer auf die AfD stützen müsse.
Nicht verfassungsgemäß.

"Jeder Abgeordnete ist Vertreter aller Bürger des Landes" (Art. 53), sowohl der 23,4% der Wähler (oder 15,2% der Wahlberechtigten), die die AfD gewählt haben - aber auch aller anderen. Das Regierungshandeln der gewählten Regierung aus grundsätzlichen Erwägungen zu blockieren: das wird dem Verfassungsauftrag nicht gerecht.

"Widerliche Scharade"
Nicht verfassungsgemäß.

Im Gegenteil. Eine Wahl ist die höchste demokratische Legitimation, die es gibt.

"Nicht in unserem Namen!"
Nicht verfassungsgemäß.

Egal. Der thüringische Landtag ist nicht von Gnaden der Liberalen im Europaparlament.

Der Ministerpräsident habe sich mit den Stimmen einer extrem rechten Partei ins Amt habe wählen lassen (paraphrasiert).
Nicht verfassungsgemäß.

Nein. Der Landtag wählt in geheimer Wahl (Art. 70), damit eben solche Anschuldigungen ausbleiben. Im Übrigen haben Linke, Grüne und SPD zusammen 42 Stimmen, Bodo Ramelow bekam jedoch 44. Auch die zwei Stimmen könnten von der AfD gewesen sein. Wären es drei gewesen, wäre Ramelow - vielleicht mit den Stimmen der AfD - zum MP gewählt worden!

Nun sei "ein Fünf-Prozent-Mensch" Ministerpräsident.
Gelogen.

Nein. Er ist mit 50,5% gewählt worden.

"Scharlatan!"
Problematisch.

Undemokratisch. Lächerlichmachen einer demokratischen Institution.

Zur kindischen Geste, jemandem Blumen vor die Füße fallen zu lassen, muss wohl nichts gesagt werden.

Ich kann ja zum Glück von Außen zugucken. Aber es ist schon seltsam, wie schnell die, die sich Demokraten nennen, einen Wahlausgang undemokratisch nennen, wenn er nicht ihren Vorstellungen entspricht. Und das ist dann wirklich undemokratisch.

Liebe Thüringer!

Ob jemand auf dem Boden der Verfassung steht, steht nicht in seinem Parteibuch, sondern ... in der Verfassung.

Schlagwort: Verrückte Normalo-Welt

Bezug herstellen   > Mir etwas anheimstellen (1 Kommentar)