Mittwoch, 1. Februar 2012

Von Nullen und Einsen

2006 war das Informatikjahr - 2005 war nämlich das Einsteinjahr; und obwohl jeder das Bild von Einstein mit der rausgestreckten Zunge kennt und zu glauben weiß, dass alles relativ sei - bringt mit der Informatik niemand eine Heilsfigur oder einen Allgemeinplatz in Verbindung. Also musste eine Werbekampagne für die Informatik her.

Die Träger ließen einheitliche Etiketten entwerfen, die auf "dank Informatik" endeten. Bei uns an der Uni tauchten daraufhin Aufkleber mit den Sprüchen "Ich bin eine Null - dank Informatik" und "Ich bin eine Eins - dank Informatik" auf. Sie kleben heute noch an den Türen.

Ob "eine Null" oder "eine Eins" sein in der freien Wildbahn vielleicht einen abschätzigen oder achtungsvollen Beigeschmack hat, interessiert den Informatiker nämlich nicht. Wir sind begeistert von der Informationsmenge, die sich mit einer Stelle darstellen lässt: das sind bei einem Bit genau zwei Zustände. Die müssen sich unbedingt unterscheiden - sonst wäre die Informationsmenge nämlich leer! Aber besser oder schlechter ist keiner von beiden Zuständen. Daher ist es egal, wie wir sie nennen. 1 oder 0. An oder aus. Ja oder nein. Wahr oder falsch. Mann oder Frau.

Mann oder Frau? Ja, das wäre eine schöne Welt, wo Männer und Frauen ihre Unterschiede nicht mehr verleugnen, sondern als einen Wert betrachten würden. Ich will das veranschaulichen.

Mit Bits (also Stellen, die 1 oder 0 sein können), kann man Zahlen ausdrücken. 00 bedeutet dann null, 01 bedeutet eins, 10 bedeutet zwei, 11 bedeutet drei usw. Jetzt könnte jemand fordern, dass in jedem Ausdruck genausoviele Einsen wie Nullen stehen müssen. Oder dass in jedem Ausdruck nur Einsen, nur Nullen oder nur #-Zeichen stehen dürften. Oder dass man 10 genauso oft als 01 schreiben sollte. Das mag irgendeiner Logik folgen, aber der Grund, warum Zahlen überhaupt existieren - nämlich einen Wert darzustellen - ginge verloren.

Wo ist also das Problem, wenn 95% der Informatiker männlich sind? Oder 95% der Kindergärtnerinnen weiblich? Gleichberechtigung ist keine 50%-Quote, Gleichberechtigung macht Menschen nicht austauschbar, Gleichberechtigung verlangt nicht, dass jeder alles macht. Gleichberechtigung ist die Freiheit des Einzelnen, an den Platz zu gelangen, der seinem Wert entspricht, den er in die Gesellschaft einbringen kann.

So macht aktuell eine Studie von J.L. Luby et al. die Runde, welche titelt, dass mütterliche Zuwendung in frühen Kindheitsjahren zu größeren Hippocampi (Gehirnstrukturen) führen, was mit besserer Stressbewältigung und besserem Gedächtnis in Verbindung gebracht wird (DOI). 97% der Fürsorgepersonen in der Studie waren zwar Mütter, doch die Studie sagt ausdrücklich, dass dasselbe Ergebnis mit Vätern, Großeltern usw. als Fürsorgeperson zustande gekommen wäre. Warum schreiben dann alle Nachrichtenagenturen voneinander ab, dass es die mütterliche Fürsorge ist, die sich positiv auswirkt? (Z.B. hier.)

Wahrscheinlich ein - nicht Freudscher, sondern genderischer Verschreiber. Die Realität (auch dieser Studie) zeigt: Es finden einfach mehr Frauen als Männer ihren Platz als Fürsorgepersonen für Kinder. Das ist ein Fakt, das ist also normal, und das schlägt selbst in Agenturmeldungen durch, wenn grad mal keiner an politische Korrektheit denkt, weil das Thema ein ganz anderes war. Wunderbar!

Wir wären als Gesellschaft viel weiter, wenn wir den Wert von Unterschieden begreifen und nutzen würden, statt ihn zu bekämpfen.

Schlagwort: Verrückte Normalo-Welt

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