Früher war alles besser.
Es war natürlich alles besser zu der Zeit, als ich ein Kind war. Das Dreipfundbrot kostete 79
Pfennige (hier was für die Allgemeinbildung: Symbol ₰), für Abwasser Geld zu bezahlen wäre uns fremd gewesen, Fahrräder wurden zusammengebastelt, von Kind zu Kind weitergegeben und ohne Reflektor oder Helm befahren, der Ranzen aus Schweineleder hielt 8 Schuljahre...
Nein, es war nicht wirklich besser, aber es war billiger; es musste billiger sein, denn die Ressourcen waren knapp. Das war aber nicht so schlimm, denn Ressourcen waren schon immer knapp.
Zwei Arten von Ressourcen
Das sind sie auch heute, aber wir haben das Gefühl dafür verloren. Was fehlt Ihnen am meisten? Ich wette, sie sagen: Zeit, Schlaf, Ruhe, Arbeit, Gesundheit, soziale Anderkennung, oder sowas. Sie stellen alle einen Wert dar, aber sie lassen sich weder für zukünftige Zeiten des Mangels ansparen, noch lassen sie sich im Gegenteil im Vorgriff auf die Zukunft von der nächsten Generation borgen. Sie können diese Werte auch niemand anderem recht- oder unrechtmäßig abnehmen, um sie selbst zu verwenden. Deshalb spüren Sie, dass sie begrenzt sind.
Andere Ressourcen dagegen lassen sich leicht von dort holen, wo sich keiner wehren kann: aus der Zukunft zum Beispiel, oder aus ärmeren Ländern. Unsere Schulden sind Geld aus der Zukunft. Unser Mobiltelefon besteht aus chinesischen seltenen Erden und Arbeitskraft - zu Bedingungen, welche mit Art. 1 unseres Grundgesetzes nichts zu tun haben. Aber darüber nachzudenken wird Ihnen nicht leichtgemacht: Der Fluss von Strom, Benzin, technischen Geräten, Designerkleidung und sonstigem Kram scheint heute nur von Ihrer Kaufkraft begrenzt zu sein, von nichts sonst. Wer mehr Euro hat, kann mehr Ressourcen verbrauchen. Und tut es auch. Es scheint keine anderen Grenzen zu geben.
Maßlosigkeit ...
Deswegen beanspruchen Sie, im Winter Sommergemüse auf dem Tisch zu haben und im Sommer Wintertemperaturen im Auto. Sie geben Phantasiepreise für Kinderwagen oder Autos mit besonderen Aufklebern aus; sie werfen die billige Kleidung weg und kaufen sie billig nach, statt wertvolle zu stopfen. Das ermöglichen dreckige Geschäfte und Verbrechen gegen die Zukunft, gegen ärmere Länder und gegen die Ökologie, aber Sie begehen die ja nicht selbst; andere machen sich für Sie die Hände und das Gewissen damit schmutzig. Die können damit gut leben und schirmen Sie deshalb mit Hochglanzprospekten von dem kommenden oder existierenden Elend ab, das Sie mit Ihrer Nachfrage mitverschulden.
Das ist natürlich kurzsichtig und gemein, aber das Hier, Jetzt und Ich des Menschen war ihm schon immer näher als das Dort, Dann und Du. Große Weltreligionen schimpfen darüber und versuchen, uns für die Zeiten, Orte und Personen empfindsam zu machen, die wir nicht direkt sehen. Der Erfolg ist überschaubar.
... und ihre Grenzen
Während aber das Gutmenschentum zur Gründungszeit der meisten dieser Weltanschauungen nicht mehr als moralische Motive gehabt haben kann, gibt es heute handfeste Gründe dafür, die Borge-Orgie zu beenden. Denn auch die scheinbar endlosen Ressourcen haben ihre Grenzen. Wir können von der Zukunft nichts borgen, wenn ihr niemand mehr vertraut. Wir können uns nichts von ärmeren Ländern holen, wenn es keine (noch) ärmeren mehr gibt. Wir können die Arbeitskraft anderer Leute nicht ausnutzen, wenn sie dieselben Bedingungen stellen wie wir. Wir können nicht verhindern, dass Benachteiligte dieselben Ressourcen verbrauchen wollen wie wir, wenn wir sie nicht mehr am Zugang hindern.
Daher sind Paradigmenwechsel und Investitionen in neue Technologien zu begrüßen, die dem übermäßigen Ressourcenverbrauch Einhalt gebieten. "Brückentechnologien", die 50 Jahre im Einsatz sind und 300.000 Jahre lang das Leben gefährden, sind nicht akzeptabel - auch dann nicht, wenn der Verzicht auf sie höhere (oder einfach nur reale?) Kosten für uns bedeutet. Diese Kosten sind lediglich der Vorbote einer Wahrheit, die wir längst nicht nur verstanden, sondern umgesetzt haben sollten: Wir dürfen nicht alles tun, nur weil wir es können, und wir dürfen nicht alles verbrauchen, nur weil wir Zugriff darauf haben.
Der schwere Weg zum Verzicht
Solche Einsichten fordern natürlich einen Verzicht (der natürlich auch nur scheinbar freiwillig ist), und ich kenne wenige, die bereit wären, beim Verzicht mit gutem Beispiel voranzugehen. Würde jemand die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf "Verzicht" ändern wollen - er wäre bald aus den Schaltstellen eliminiert. Niemand will Verzicht gepredigt bekommen; nicht ich, nicht Sie, nicht die Verbraucher und nicht die Produzenten. Verzicht zu üben verlangt nicht nur die Fähigkeit zur langfristigen Planung, sondern auch die Fähigkeit, solche Pläne langfristig durchzuhalten. Entscheidungsriegen, die alle 4 Jahre nach Tagesform ausgewechselt werden und denen selbst, wie ihren Wählern, das Hier, Jetzt und Ich am nähesten steht, dürften dazu nicht in der Lage sein.
Und schon wieder stolpert man über die Weltreligionen, speziell die christliche, und fragt sich, was an der Theorie eines ewigen Gottesreiches so falsch ist. Langfristigkeit und Durchsetzungsfähigkeit sollten nicht sein Problem sein. Das Problem ist vielmehr: Wir, die wir auf nichts verzichten wollen, wären in diesem Reich wohl eher schlecht aufgehoben.