Donnerstag, 18. Februar 2010

Demoralisierung im Februar

Ich bin kein Dresdner.

Ich war nicht dabei.

Ich bin kein Geschichtswissenschaftler.

Das einzige, was ich zum Bombenangriff auf Dresden habe, sind zwei Erzählungen.

Die beiden Erzählungen sind über meine Oma. Sie sind kurz.

Nacht vom 13. auf den 14. Februar: Die Detonationen in Dresden sind 100 km weit bis Görlitz zu spüren. "Was machen die bloß?", fragt meine Oma. Ihr Mann - ein Querflöten- und Geigenspieler, Angehöriger der Wandervögel - ist im Krieg verschollen.

Frühjahr 1945, auf der Flucht mit einer 4jährigen Tochter und einem Säugling. Bombenangriff. Sie sitzen in einer Scheune. "Wenn doch endlich eine hier einschlagen würde", sagt meine Oma.

Auf Dresden fielen in zwei Tagen 800.000 Bomben, alle mit dem Ziel, zu zerstören und zu töten. Sie zerstörten für Kriegszwecke arbeitende Fabriken. Sie zerstörten Straßen und Geleise, die früher einmal Soldaten und Material in den Osten, jetzt aber Verletzte, Flüchtlinge und ihre letzte Habe aus dem Osten transportierten. Sie zerstörten Gebäude und Kunstschätze von unschätzbarem Wert. Sie töteten Flüchtlinge: Frauen, Kinder. Wie viele? Ich weiß es nicht. Aber mein Vater saß in einem Flüchtlingszug, der auch bombardiert wurde und entgleiste. Die Frau neben ihm war tot.

So fern und so nah ist mir der Tod von damals.

Der Wikipedia-Artikel zu diesem Ereignis macht mich wütend. Unter "Folgen für die Bevölkerung" lese ich: Ein Absatz von Menschen, die in unversehrte Stadtteile fliehen konnten, viele Erstickte, aber 1000 Überlebende in einer Kirche, auseinandergerissene Familien, traumatisierte Menschen. Zwei Absätze über die Versorgung der Bevölkerung in den folgenden Monaten. Drei Absätze über 70 im Chaos geflohene und damit gerettete Juden.

Soll ich mich jetzt freuen, dass der Bombenangriff 70 Menschenleben gerettet hat? Was ist mit den Getöteten? Mit den "18.000 bis 25.000" Toten in einer Stadt von über 600.000 Einwohnern plus 200.000 Flüchtlingen, von denen ja wenigstens ein paar in dem Meer aus Ruinen gelebt haben müssen, die ich auf den Fotos sehe?

Die Bevölkerung sollte durch den Angriff demoralisiert werden, lese ich. Hm. War ein Volk, dass Hitler gewähren ließ, nicht schon demoralisiert genug? Oder war es noch nicht demoralisiert genug, als dass es sich - mit den sowjetischen Truppen vor Berlin und den Alliierten im Rheinland - den Einzug verbitterter und vergewaltigender Streitkräfte gewünscht hätte, deren Ländern deutsche Generäle unglaublichen Schaden zugefügt hatten? Oder waren sie vielleicht gar nicht demoralisiert und nur damit beschäftigt, ihr bisschen Leben zu retten? Dann waren sie das falsche Angriffsziel. Die Demoralisierung brachte indessen ein Volk zustande, von dem nachher nie jemand was gesehen, nie jemand was gewusst, nie jemand was unterstützt und nie jemand was getan hatte.

Natürlich kann man den Deutschen den moralischen Zeigefinger heben und ihnen sagen - hättet ihr Hitler früher erledigt, hätten man Dresden nicht bombardiert. Nun, zu der Zeit standen Großbritannien und Frankreich schon seit fünfeinhalb Jahren und die USA seit fast 4 Jahren mit Deutschland im Krieg und haben Hitler auch nicht früher erledigt. Und das waren die Kriegsgegner, nicht etwa das Volk, das auch sein Brot aß. Vielleicht war es Zufall, dass sie erst die Deutschen die Russen und dann die Russen die Deutschen aufrieben ließen, ehe der Krieg zu Ende war. Vielleicht war es Zufall, dass den gefürchteten sowjetischen Kommunisten die deutsche Kunstmetropole und ihre Schätze nicht in die Finger fielen, mit denen der danach installierte Arbeiter- und Bauernstaat DDR offiziell eh nichts anfangen konnte.

Heute führen die damaligen Befreier zwei Angriffskriege, und niemand kommt auf die Idee, von ihrem Volk die Liquidierung ihrer Elite zu fordern. Wieder stehen die Kriegführer im Mittelpunkt. Wieder zählen wir die gefallenen Bomben. Wieder reden wir nicht von den Opfern. Wie im Februar 1945 kennen wir die Zahl der gefallenen Bomben, aber nicht die der gefallenen Menschen. Wir wissen nichts über ihre Umstände, ihre Träume, ihr bisschen Leben, das sie sich retten wollen, und die zerstörten Werte, die sie sich einmal geschaffen haben.

Ja. Krieg demoralisiert. Nicht seine Opfer, sondern seine Führer - und seine Zaungäste auch, wenn sie sich nicht in Acht nehmen.

Schlagwort: Verrückte Normalo-Welt

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